jurisPR-BGHZivilR 13/2012 Anm. 1 Verlust der Anwaltszulassung und Postulationsfähigkeit
Anmerkung zu BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 24.04.2012 - VIII ZB 111/11 Orientierungssatz zur
Anmerkung A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Erst später wurde bekannt, dass dem Beklagtenvertreter von seiner Rechtsanwaltskammer bereits mit Bescheid vom 22.07.2010, also über ein Jahr zuvor, unter Anordnung des Sofortvollzugs der Widerrufsverfügung die Anwaltszulassung entzogen worden ist. Der Widerruf ist allerdings nicht bestandskräftig. Dieser Prozessbevollmächtigte hatte vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht einen begründeten Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Er hat die Berufungsbegründung dann – ohne dass eine Verlängerung erfolgt wäre – innerhalb der von ihm erbetenen verlängerten Frist eingereicht. Das Landgericht hat nach entsprechendem Hinweis die Berufung des Beklagten
als unzulässig verworfen. Das Rechtsmittel sei nicht durch einen Rechtsanwalt
eingelegt worden. Der BGH gibt der Rechtsbeschwerde statt. Er hebt den angefochtenen Beschluss des Landgerichts auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Die Rechtsbeschwerde, die sich gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig richtet, sei nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie sei auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Beschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 547 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletze die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der BGH führt zur Begründung der Rechtsbeschwerde aus: Der sofort vollziehbare Widerruf der Anwaltszulassung des Prozessbevollmächtigten habe nicht dazu geführt, dass dieser Prozessbevollmächtigte seine Postulationsfähigkeit sofort verliert. Deshalb hätte das frist- und formgerecht eingelegte Rechtsmittel nicht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO verworfen werden dürfen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlischt erst dann, wenn der Widerruf der Zulassung bestandskräftig geworden ist (§ 13 BRAO). Die Anordnung des Sofortvollzugs gemäß § 14 Abs. 4 BRAO führe zwar – so der VIII. Zivilsenat – dazu, dass der Prozessbevollmächtigte ab Zustellung des entsprechenden Beschlusses nicht mehr befugt sei, seine Anwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO). Dieses berufsrechtliche Verbot habe aber nicht die Konsequenz, dass die Berufungseinlegung unwirksam sei. Denn § 155 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 BRAO bestimme, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, es sei denn, dass zuvor eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt. Diese Regelung, wonach das Gericht einen Rechtsanwalt, der entgegen einem Berufs- oder Vertretungsverbot auftritt, zurückweisen „soll“, sei im Interesse der Rechtssicherheit in die BRAO aufgenommen worden. Es solle der Rechtsverkehr nicht mit der Prüfungspflicht belastet werden, ob eine wirksame Anwaltszulassung besteht. Die Postulationsfähigkeit eines verbotswidrig handelnden Anwalts bleibe auch dann unberührt, wenn er sich bewusst über das Tätigkeitsverbot hinwegsetzt (BGH, Beschl. v. 22.02.2010 - II ZB 8/09). Das Berufungsgericht hat sich von seinem Standpunkt aus konsequent nicht mehr
mit der Frage der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auseinandergesetzt.
Hierzu führt der BGH aus: Auch für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
sei dem Beklagten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte die Berufung nicht rechtzeitig
begründet. Er hat jedoch unter Darlegung erheblicher Gründe i.S.v. § 520 Abs. 2
Satz 3 ZPO vor Ablauf der Begründungsfrist deren Verlängerung um einen Monat
beantragt und die Begründung dann innerhalb der von ihm beantragten verlängerten
Frist nachgereicht. Auch bei Einreichung dieser Schriftsätze habe der
Prozessbevollmächtigte seine Postulationsfähigkeit noch nicht eingebüßt. Der
Verwerfungsbeschluss in Bezug auf die Berufung enthalte nicht zugleich die
Zurückweisung des Beklagtenvertreters nach § 156 Abs. 2 BRAO. C. Kontext der Entscheidung Bereits mit der älteren Entscheidung aus dem Jahre 2010 wurde bekräftigt, dass das Berufsverbot nicht auf die Postulationsfähigkeit und damit auf die Rechtswirksamkeit der Prozesshandlungen durchschlägt. Diese sollen vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit wirksam bleiben. Die neue Entscheidung bestätigt diese Auslegung. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich bestimmt, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, wenn nicht zuvor die Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt ist. Die hier besprochene Entscheidung steht in einer Reihe vergleichbarer höchstrichterlicher Erkenntnisse, die regelmäßig bekräftigen, dass nicht jeder Berufsverstoß – im vorliegenden Fall sogar nicht der Entzug der Anwaltszulassung – zur Unwirksamkeit von Prozesshandlungen führt (vgl. dazu beispielsweise auch BGH, Urt. v. 14.05.2009 - IX ZR 60/08 - NJW-RR 2010, 67: Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen § 43 Abs. 4 BRAO – Vertretung widerstreitender Interessen – lässt die Wirksamkeit der erteilten Prozessvollmacht und der Prozesshandlungen unberührt). D. Auswirkungen für die Praxis E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung |