jurisPR-BGHZivilR 13/2009 Anm. 2 Keine verbotene Eigenmacht bei Einstellung der Heizungsversorgung durch den Vermieter bei Gewerberaummietverhältnis (Streit um die "sibirische Methode")
Anmerkung zu BGH, Urteil vom 06.05.2009 - XII ZR 137/07 Leitsatz: A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Mieter beantragt, dem Vermieter die angedrohte Versorgungssperre zu
untersagen. Das Landgericht hat der Klage im Hinblick auf die Heizungsversorgung
stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. - Anspruch auf Heizungsversorgung aus der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung
nach § 535 Abs. 1 BGB aufgrund des Mietvertrages, Sämtliche möglichen Ansprüche verneint er. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts geht der BGH davon aus, dass das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigungen beendet worden ist; die fristlosen Kündigungen seien berechtigt gewesen. Damit erklärt sich auch der erste Leitsatz, der auf das Rechtsverhältnis nach Beendigung des Mietverhältnisses abstellt. Der Ausgangspunkt ist deshalb im vorliegenden Fall etwas überraschend, weil der Räumungsrechtsstreit – so der Tatbestand der Senatsentscheidung – zwischen den Parteien noch in einem anderen Verfahren anhängig ist. Ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters wegen fehlender Nebenkostenabrechnungen durch den Vermieter habe hier die Berechtigung der Kündigung nicht hindern können, weil die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts im Hinblick auf den geringen Umfang der Nebenkostenvorauszahlung und wegen des Mietzinsrückstands rechtsmissbräuchlich wäre. Wegen der offensichtlichen Diskrepanz zwischen nur geringfügig geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen und dem vom Berufungsgericht festgestellten Rückstand mit der Grundmiete habe der Mieter ein Zurückbehaltungsrecht in dem von ihm vorgenommenen Umfang keinesfalls geltend machen dürfen. Auch ein Rechtsirrtum, der nach § 286 Abs. 4 BGB den Verzug ausschließen könne, komme hier nicht in Betracht. Aufgrund dieser Überlegungen kommt der Senat – obwohl ein paralleles Räumungsverfahren zwischen den Parteien noch nicht rechtskräftig entschieden ist – zum Ergebnis, dass das Mietverhältnis wirksam beendet wurde. Deshalb könne es keine Ansprüche auf Aufrechterhaltung der Versorgung gemäß § 535 Abs. 1 BGB geben. Auch nachvertragliche Pflichten des Vermieters führten im vorliegenden Fall nicht dazu, dass der Beklagte verpflichtet sei, die Versorgung des Klägers mit Heizenergie aufrechtzuerhalten. Zwar seien entsprechende nachvertragliche Pflichten aus Treu und Glauben nach § 242 BGB grundsätzlich denkbar. Das gelte aber jedenfalls dann nicht, wenn bereits die Beendigung des Mietverhältnisses auf Zahlungsverzug des Mieters beruht und der Vermieter entsprechende Versorgungsleistungen mangels Vorauszahlungen des Mieters auf eigene Kosten erbringen müsste. Der Vermieter liefe dann Gefahr, die von ihm verauslagten Kosten für die Versorgung nicht erstattet zu erhalten. Dementsprechend bestehe im vorliegenden Fall auch keine über die Vertragsbeendigung andauernde Leistungspflicht des Beklagten. Damit werden petitorische Ansprüche des Mieters im konkreten Fall verneint. Aber auch possessorische Ansprüche bestünden nicht: Die Einstellung der
Versorgungsleistung stelle keine Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB dar.
Sie sei nicht als verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB zu werten. Der BGH schließt sich der Mindermeinung an. Er teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass in der Unterbrechung der Versorgungsleistung – nach der Begründung offensichtlich unabhängig von der Frage der wirksamen Beendigung des Vertragsverhältnisses – keine Besitzstörung liegt. Die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen seien nicht Bestandteil des Besitzes und können nach Auffassung des BGH daher auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes sein. Verbotene Eigenmacht nach den §§ 858, 862 BGB setze voraus, dass in die tatsächliche Sachherrschaft eingegriffen worden ist. Ein Eingriff liege aber nur dann vor, wenn der Besitzer im Bestand der tatsächlichen Sachherrschaft beeinträchtigt werde. Die Einstellung von Versorgungsleistungen jedoch beeinträchtige weder den Zugriff des Besitzes auf die Mieträume noch schränke sie die sich aus dem bloßen Besitz ergebenden Nutzungsmöglichkeiten ein. Die Auffassung, die Einstellung von Versorgungsleistungen führe zu einer „kalten Räumung“ oder einer unzulässigen Selbstvollstreckung (so Erman/A. Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 858 Rn. 3, m.w.N.), teilt der BGH nicht. C. Kontext der Entscheidung D. Auswirkungen für die Praxis Allerdings: Versorgungssperren durch Energieversorger wurden schon bisher in der Rechtsprechung nicht als verbotene Eigenmacht gewertet (LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.05.2009 - 5 T 236/09; LG Düsseldorf, Urt. v. 08.02.2006 - 34 O (Kart) 219/05 - RdE 2006, 205). Die gleichen Rechtsgrundsätze wendet der BGH jetzt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter von Gewerberäumen an. Es fragt sich allerdings, ob und inwieweit die Entscheidung des BGH sich auf Gewerberäume (noch dazu auf beendete Mietverhältnisse) beschränkt, oder ob die Rechtsprechung nicht auch auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar ist. Der Deutsche Mieterbund, der das Urteil „problematisch“ genannt hat, geht in einer sofort veröffentlichten Stellungnahme davon aus, dass die Begründung des Gerichts nicht auf Wohnräume übertragbar sei; Wohnraummieter müssten auch künftig nicht fürchten, dass nach einem Streit über Nebenkosten oder im Laufe eines Räumungsprozesses der Vermieter die Heizung abdreht (Handelsblatt vom 06.05.2009). Diese apodiktische Aussage ist fraglich: Ob die Rechtsprechung auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar ist, hatte der XII. Zivilsenat des BGH nicht zu entscheiden. Für die Beurteilung der entsprechenden Frage bei Wohnraummietverhältnissen wäre der VIII. Zivilsenat zuständig. Die den Besitzschutz verneinende Argumentation des Senats scheint von ihrer Struktur her ohne weiteres auch auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar zu sein. Es kann also – entgegen der Verlautbarung des Mieterbunds – keineswegs als gesichert angesehen werden, dass eine Heizungssperre in Wohnraummietverhältnissen mit possessorischem Rechtsschutz bekämpft werden kann. Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen, dass Vermieter Aktionen vergleichbarer Art, die von der herrschenden Meinung bisher als unzulässige Selbsthilfe (§§ 229, 230 BGB) und als verbotene Eigenmacht mit der Folge von Besitzschutzansprüchen gewertet worden sind (§§ 862, 858 BGB), zur Verstärkung der Position in einer Auseinandersetzung mit Mietern in unangreifbarer Weise einsetzen können. Die „sibirische Methode“ scheitert nach der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats nicht an possessorischen Einwendungen. Ob petitorische Einwendungen greifen oder nicht, ist jeweils eine Frage des Einzelfalles. |