jurisPR-BGHZivilR 21/2015 Anm. 1
Leistungsverweigerungsrecht und Verjährung Leitsatz A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin klagte auf Zahlung restlichen Werklohns und Bewilligung der Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek auf dem Baugrundstück. Die Beklagten, die die Klageforderung bestreiten, haben hilfsweise mit Teilforderungen gegen die Werklohnforderung aufgerechnet und – ebenso hilfsweise – in Bezug auf ggf. den Werklohn übersteigende Schadensersatzansprüche einen Feststellungsantrag mit der Widerklage geltend gemacht. Diese ist darauf gerichtet, feststellen zu lassen, dass die beklagte Partei von der klagenden Unternehmerin den Ersatz sämtlicher Schäden verlangen kann, die im Zusammenhang mit festgestellten Mängeln entstehen. Das Landgericht hatte die Beklagte zu 1) und ihre Gesellschafter, die Beklagten zu 2) und 3), als Gesamtschuldner zur Zahlung des Werklohns und zur Bewilligung einer Bauhandwerkersicherungshypothek verurteilt. Die Hilfsaufrechnung und die hilfsweise erhobene Widerklage der Beklagten kamen nach Auffassung des Erstgerichts nicht zum Zug. Das Berufungsgericht hatte die Verurteilung aufrechterhalten, wobei ein Teil des Werklohns Zug um Zug gegen Mängelbeseitigung zugesprochen wurde. Die Bewilligung der Eintragung einer Sicherungshypothek wurde im Umfang der Verurteilung aufrechterhalten. Die weitergehende Berufung der Beklagten hatte das Berufungsgericht zurückgewiesen. Es hatte jedoch die Revision wegen der Frage zugelassen, ob ein erstmals in der Berufungsinstanz nach Ablauf der Verjährungsfrist geltend gemachter Mangel „Wölbung des Pflasters“ zu einem Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten führt. Das Berufungsgericht verneinte insoweit das Leistungsverweigerungsrecht. Die Mängelansprüche seien fünf Jahre nach der Abnahme (nämlich am 16.10.2013) verjährt (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der Mangel, der erstmals in der Berufungsinstanz insoweit geltend gemacht wurde, sei gegenüber dem klagenden Unternehmen erst nach Eintritt der Verjährung, nämlich im November 2013, geltend gemacht worden. Die Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts nach Verjährung sei ausgeschlossen. § 215 BGB – so das Berufungsgericht – sei nicht so auszulegen, dass das Leistungsverweigerungsrecht unabhängig von der Geltendmachung des Mangels in nicht verjährter Zeit noch nach der Verjährung geltend gemacht werden kann. Zur Klärung dieser Frage hatte das Berufungsgericht die Revision zugelassen. Der BGH prüft zunächst den Umfang der Revisionszulassung. Er geht davon aus, dass die Zulassung der Revision nicht auf die Klärung einer Rechtsfrage beschränkt ist, sondern sich auf den isoliert zu beurteilenden Mangel „Wölbung des Pflasters“ und die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Einrede des Leistungsverweigerungsrechts bezieht. Deshalb war die Beschränkung der Revision zulässig. Der VII. Zivilsenat hat die Revision der Beklagten durch Beschluss darüber hinaus als unzulässig zurückgewiesen. Die vorsorglich insoweit eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde – wie üblich – nach § 544 Abs. 4 ZPO ohne nähere Begründung zurückgewiesen. Im Übrigen aber hat der BGH nach mündlicher Verhandlung durch Urteil die Berufungsentscheidung aufgehoben. Die Verneinung des Leistungsverweigerungsrechts in Bezug auf den neu eingeführten Mangel „Wölbung des Pflasters“ hält er nicht für zutreffend. Im Gegensatz zur restriktiven Interpretation des Berufungsgerichts zu § 215 BGB vertritt der BGH die Auffassung: Der Besteller könne wegen eines Mangels der Werkleistung ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Unternehmer auch nach Eintritt der Verjährung der Mängelansprüche gemäß § 215 BGB geltend machen. Erforderlich sei nur, dass der Mangel bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist in Erscheinung getreten ist und daher ein darauf gestütztes Leistungsverweigerungsrecht in nicht verjährter Zeit bestand. Nicht erforderlich – so ausdrücklich der VII. Zivilsenat – sei es, dass der Besteller bereits vor Eintritt der Verjährung seiner Mängelansprüche ein solches Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht hat. Der BGH teilt also nicht die restriktive Auffassung des Berufungsgerichts zur Interpretation des § 215 BGB. C.
Kontext der Entscheidung So schließt die Verjährung weder die Aufrechnung noch die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet oder die Leistung verweigert werden konnte. Dieser Neuregelung liegt folgender Gedanke zugrunde: Ein Schuldner, der einen Gegenanspruch hat, kann sich als hinreichend gesichert ansehen und darf durch die Verjährungsregel nicht zur frühzeitigen Durchsetzung seiner Forderung im Wege der Aufrechnung oder Klageerhebung gedrängt werden (Grothe in: MünchKomm BGB, 7. Aufl., § 215 Rn. 1; Bach in: Beck-OGK, BGB, Stand: 01.06.2015, § 215 Rn. 23; OLG Schleswig, Beschl. v. 22.08.2011 - 3 U 101/10 - BauR 2012, 815, 821). Der Streit zwischen den Parteien hatte sich insbesondere an der Frage entzündet: Muss der Besteller das Leistungsverweigerungsrecht bereits vor Eintritt der Verjährung der Mängelansprüche geltend machen, oder kommt es auf diese Geltendmachung nicht an? Der VII. Zivilsenat macht deutlich: Sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch nach dem mit ihr verfolgten Zweck reicht es – im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts – aus, dass das Leistungsverweigerungsrecht in nicht verjährter Zeit bestand und ausgeübt werden konnte. Tatsächlich geltend gemacht werden muss es in unverjährter Zeit nicht. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift mit dem Ziel, sie nur dann anzuwenden, wenn der Besteller sich schon vor Verjährung auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen hat, hält der BGH nicht für geboten (a.A. Kniffka/Schulze-Hagen, Bauvertragsrecht, § 634a BGB Rn. 172; OLG Schleswig, Beschl. v. 22.08.2011 - 3 U 101/10 - BauR 2012, 815, 821). Es entsprach – so der BGH – der Intention des Gesetzgebers, die früher geltende Vorschrift des § 390 Satz 2 BGB a.F. auf die Geltendmachung von Leistungsverweigerungsrechten zu erstrecken (BT-Drs. 14/6040, S. 122). Demgemäß war nach der früheren Rechtslage anerkannt: Verjährte Ansprüche des Schuldners ließen nicht nur die Aufrechnung nach § 390 Satz 2 BGB a.F. zu, sondern gestatteten in analoger Anwendung auch die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts (BGH, Urt. v. 19.05.2006 - V ZR 40/05 - BauR 2006, 1464, 1465; BGH, Urt. v. 15.12.1969 - VII ZR 148/67 - BGHZ 53, 123, 125; BGH, Urt. v. 16.06.1967 - V ZR 122/64 - BGHZ 48, 116, 118). Zu § 215 BGB hatte das Berufungsgericht eine restriktive Auffassung vertreten: Bei wortgetreuer Auslegung der Vorschrift werde der Besteller bevorzugt, der grundlos eine Werklohnforderung nicht zahlt. Das müsse eine einschränkende Auslegung zur Folge haben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts muss das Zurückbehaltungsrecht also in unverjährter Zeit geltend gemacht werden, nur dann könne es auch nach Verjährung der Mängelbeseitigungsansprüche Gültigkeit behalten (so auch Kniffka/Schulze-Hagen, Bauvertragsrecht, § 634a BGB Rn. 72, OLG Schleswig, Beschl. v. 22.08.2011 - 3 U 101/10 - BauR 2012, 815, 821). Der BGH prüft die Frage, ob eine solche teleologische Reduktion (Geltendmachung vor Verjährungsablauf) geboten ist. Dieser Gedanke ist offenbar deshalb entstanden, weil man eine Gleichstellung von Aufrechnung und Zurückbehaltung in § 215 BGB in Erwägung zieht. Denn die Aufrechnungslage, die vor Verjährung bestehen muss, setzt ja voraus, dass der Besteller einen aufrechenbaren Zahlungsanspruch hat. Zahlungsansprüche, mit denen aufgerechnet werden kann, entstehen erst nach Fristsetzung (Schadensersatz §§ 636, 281 Abs. 2 BGB, Vorschussanspruch § 637 Abs. 1 BGB; Ausnahme: Erfüllungsverweigerung, Unzumutbarkeit, Fehlschlagen der Nachbesserung). Das wirft die Frage auf, ob eine entsprechende Erklärung durch Fristsetzung, wie sie zur Herbeiführung von Zahlungsansprüchen notwendig ist auch beim Zurückbehaltungsrecht notwendig ist. Gerade die Entstehungsgeschichte des § 215 BGB widerlegt jedoch diese Rechtsauffassung: Nach der früheren Rechtslage (bis 31.12.2001) setzte die Erhaltung der Mängeleinrede des Bestellers nach Ablauf der Verjährungsfrist gemäß den §§ 639 Abs. 1, 478 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. voraus, dass der Besteller dem Unternehmer der Mangel der Werkleistung in nicht verjährter Zeit angezeigt hatte. Diese Vorschrift ist aber gerade durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz durch die neue Vorschrift des § 215 BGB verändert worden. Danach ist der Besteller nicht mehr gezwungen, ein ihm zustehendes Leistungsverweigerungsrecht vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend zu machen, um sich das Recht zu erhalten. Die Neuregelung schließt schon nach ihrem Wortlaut, aber auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, eine teleologische Reduktion der Vorschrift aus. D.
Auswirkungen für die Praxis Fazit: § 215 BGB kann in Bezug auf das Zurückbehaltungsrecht nicht gegen seinen Wortlaut restriktiv interpretiert werden. Eine Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts vor Eintritt der Verjährung der Mängelbeseitigungsansprüche ist nicht notwendig. Entscheidend ist nur, ob die Zurückbehaltungslage objektiv vor Verjährungseintritt bestand. E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Im vorliegenden Fall beschränkt sich die entscheidende Rechtsfrage der Anwendbarkeit des § 215 BGB nach Verjährung der Mängelbeseitigungsansprüche auf einen bestimmten Mangel, der isoliert beurteilt werden konnte. Nur hinsichtlich dieses Mangels war die Frage des Zurückbehaltungsrechts und damit die zentrale Rechtsfrage zu entscheiden. Deshalb war die Beschränkung der Revision auf den abtrennbaren Teil (Mangel der Wölbung des Pflasters) und das in diesem Zusammenhang geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht rechtlich möglich, die Revision im Übrigen unzulässig. Der VII. Zivilsenat hat mit der besprochenen Entscheidung das Berufungsurteil aufgehoben und zurückverwiesen, weil das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus folgerichtig keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob der von der Beklagten in der Berufung erstmals gerügte Mangel vor Ablauf der Verjährungsfrist in Erscheinung getreten ist. Das Berufungsgericht wird im neu eröffneten Berufungsverfahren also zu klären haben, wann der Mangel (vor oder nach Ablauf der Verjährung der Mängelbeseitigungsansprüche) erstmalig aufgetreten ist. Ist der Mangel vor Verjährung eingetreten, kann das Zurückbehaltungsrecht auch nach Verjährung der Mängelbeseitigungsansprüche geltend gemacht werden. Prozessual hängt damit auch zusammen die im Verfahren offengebliebene Frage, ob der beklagte Bauherr den Mangel verspätet oder rechtzeitig geltend gemacht hat (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Auch das konnte der BGH mangels entsprechender Feststellungen nicht selber entscheiden. Ist der Mangel erst nach Abschluss der ersten Instanz aufgetreten, liegt – was das Berufungsgericht zu klären haben wird – eine Verspätung des Sachvortrags nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht vor. |