jurisPR-BGHZivilR 22/2014 Anm. 1
Die Überlappung von Sicherungen im Bauvertrag Leitsatz A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Im Werkvertrag zwischen der Klägerin und der Auftragnehmerin (spätere Streitverkündete) sind die von der öffentlichen Hand verwendeten Besonderen Vertragsbedingungen EVM (B) BVB wie folgt vereinbart: „6.1. Als Sicherheitsleistung für die Vertragserfüllung nach Nr. 33.1 ZVB/E hat der Auftragnehmer eine Bürgschaft nach dem Formblatt EFB-Sich 1 in Höhe von 5 v.H. der Auftragssumme einschließl. der Nachträge zu stellen. Leistet der Auftragnehmer die Sicherheit nicht binnen 18 Werktagen nach Vertragsschluss (Zugang des Auftragsschreibens bzw. der Nachtragsvereinbarung), so ist der Auftraggeber berechtigt, die Abschlagszahlungen einzubehalten, bis der Sicherheitsbetrag erreicht ist. Nach Empfang der Schlusszahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft gemäß Formblatt EFB-Sich 2 in Höhe von 2 v.H. der Abrechnungssumme umgewandelt wird. 6.2 Als Sicherheit für die Gewährleistung nach Nr. 33.2 ZVB/E werden 2 v.H. der Auftragssumme einschließl. der Nachträge einbehalten, nach Feststellung der Abrechnungssumme ist diese maßgebend. Der Auftragnehmer kann stattdessen eine Gewährleistungsbürgschaft nach dem Format EFB-Sich 2 stellen. … 6.4 Für Bürgschaften gilt Nr. 34 ZVB/E.“ Nr. 33.1 der EVM (B) ZVB (im Folgenden: ZVB) lautet: „Die Sicherheit für Vertragserfüllung erstreckt sich auf die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag, insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz, sowie auf die Erstattung von Überzahlung einschließlich der Zinsen.“ In Nr. 34 der ZVB ist Folgendes bestimmt: … 34.6 Die Urkunde über die Vertragserfüllungsbürgschaft wird nach
vorbehaltsloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben, wenn der Auftragnehmer Im vorliegenden Rechtsstreit geht es ausschließlich um die Ansprüche aus den Gewährleistungsbürgschaften. Im Wege eines Teilurteils hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der Bürgschaftsklage könne die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung entgegengehalten werden. Denn die in den Zusätzlichen Vertragsbestimmungen enthaltene formularmäßige Bestimmung für die Vertragserfüllungsbürgschaft, wonach der Bürge auf erstes Anfordern an den Auftraggeber zu zahlen habe, sei unwirksam. Dies habe die Unwirksamkeit der gesamten Sicherungsabrede zur Folge mit dem Ergebnis, dass die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung auch gegenüber der Inanspruchnahme aus den Gewährleistungsbürgschaften erhoben werden kann. Außerdem benachteilige die vertragliche Regelung in Bezug auf die Sicherheiten im Werkvertrag den Auftragnehmer unangemessen. Denn der Austausch der 5%igen Vertragserfüllungsbürgschaft gegen eine weniger hohe (2%ige) Gewährleistungsbürgschaft werde von einer vorbehaltlosen Annahme der Schlusszahlung abhängig gemacht. Dadurch gerate das gleichwertige Gefüge der beiderseitigen Rechte und Pflichten faktisch aus dem Gleichgewicht. Schließlich könne die Sicherungsabrede keinen Bestand haben, weil der vereinbarte formularmäßige Ausschluss der Einreden der Anfechtung und der Aufrechnung unwirksam sei. Denn er enthält keine Einschränkung hinsichtlich unbestrittener oder rechtskräftig festgestellter Forderungen. Dies allein habe allerdings – so das Berufungsgericht – nicht die Unwirksamkeit der gesamten Sicherungsabrede oder des Bürgschaftsvertrags zur Folge. Auf Nichtzulassungsbeschwerde der Bauherrin gegen den einstimmigen Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts hat der VII. Senat des BGH die Revision der Klägerin zugelassen. Die zugelassene Revision rügt nach Auffassung des BGH zu Recht: Die formularmäßige Bestimmung in Bezug auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erste Anforderung führt im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht zu dem Ergebnis, dass die Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 BGB (§ 9 Abs. 1 AGBG) unwirksam sei. Denn für eine Übergangszeit (Verträge bis zum 01.01.2003) sei der Vertrag dahin auszulegen, dass der Auftraggeber eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet. Insoweit hält der BGH für früher abgeschlossene Verträge (anders als für solche ab dem 01.01.2003) eine geltungserhaltende Reduktion für möglich mit der Folge, dass die auf erstes Anfordern erfüllbare Bürgschaft als einfachere Bürgschaft aufrechterhalten werden kann. Das habe das Berufungsgericht übersehen. Die Sicherungsabrede sei jedoch aus anderen Gründen unwirksam: Sie habe eine Übersicherung des Auftraggebers für Gewährleistungsansprüche zur Folge, die zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers nach § 9 Abs. 1 AGBG führt. Die Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5% sichert nämlich nicht nur Vertragserfüllungs- und Überzahlungsansprüche, sondern auch Gewährleistungsansprüche ab, weil sie erst nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung durch den Auftragnehmer zurückgegeben wird. Diese Regelung ermöglicht es dem Auftraggeber, die Vertragserfüllungsbürgschaft noch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten, bis der Auftragnehmer die Schlusszahlung vorbehaltslos annimmt. Es kann also zu einer zeitlichen Überlappung beider Bürgschaftskonstruktionen kommen. Auf diese Weise werden jedenfalls auch entstehende Gewährleistungsansprüche über die Vertragserfüllungsbürgschaft mit gesichert, während bereits zusätzlich Einbehalte (die durch Gewährleistungsbürgschaft ablösbar sind) relevant sind. Das Klauselwerk führt damit zu dem Ergebnis, dass eine Überlappung von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft (bzw. Einbehalt) und damit eine Kumulierung der Sicherung für einen unbestimmten Zeitraum im vorliegenden Fall in Höhe von 7% eintreten kann. Denn die 5%ige Vertragserfüllungsbürgschaft bleibt zunächst bis zur vorbehaltslosen Annahme der Schlusszahlung stehen. Mit der Abnahme ist allerdings dann auch die 2%ige Sicherheit für die Gewährleistung nach Nr. 6.2 zu stellen, die durch eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft in gleicher Höhe geleistet werden kann. Für einen ungewissen Zeitraum nach Abnahme – nämlich bis der Auftragnehmer die Schlusszahlung akzeptiert – bleiben also sich überlappende Bürgschaften mit einer Gesamtsicherungssumme von 7% bestehen. Das führe – so der BGH – zu einer unangemessen Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB, § 9 AGBG. C. Kontext der Entscheidung Die Zulassung der Revision durch den BGH wurde ersichtlich vor dem Hintergrund ausgesprochen, dass die drei einstimmig entscheidenden Berufungsrichter die etablierte Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit der Stellung von Bürgschaften auf erste Anforderungen nur zum Teil zur Kenntnis genommen haben. Sie sind deshalb fehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen, dass im vorliegenden Fall die Bürgschaft auf der Basis eines bereits 1997 abgeschlossenen Vertrags mit der Regelung auf erste Anforderung zwingend zur Unwirksamkeit führt und eine geltungserhaltende Reduktion ausschließt. Demgegenüber hat die Rechtsprechung die Unwirksamkeit der Bürgschaften auf erste Anforderung ohne Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion erst durch die Urteile vom 18.04.2002 (VII ZR 192/01 - NJW 2002, 2388) und im Urteil vom 04.07.2002 (VII ZR 502/99 - BauR 2002, 1533) statuiert. Der VII. Zivilsenat hat festgehalten: Erst bei Abschluss von entsprechenden Vereinbarungen in Bezug auf Bürgschaften auf erste Anforderung ab 01.01.2003 kann sich der Bürgschaftsgläubiger nicht mehr auf Vertrauensschutz berufen. In früheren Fällen kann er jedoch – mit geltungserhaltender Reduktion – die Bürgschaft als normale Bürgschaft geltend machen (BGH, Urt. v. 09.12.2010 - VII ZR 7/10, und BGH, Urt. v. 28.07.2011 - VII ZR 207/09). Im vorliegenden Fall war also eine geltungserhaltende Reduktion möglich, mithin auch der Austausch der auf erste Anforderung erfüllbaren Vertragserfüllungsbürgschaft gegen die neuen Bürgschaften. Insoweit hat der einstimmige Beschluss des Berufungsgerichts die schon seit Langem etablierte Rechtslage, die entsprechenden Vertrauensschutz für Altfälle gewährt, gründlich verkannt. Zu entscheiden war die Frage: Führt die Überlappung der Sicherungen in Höhe von 7% (durch Parallelität von Vertragserfüllungsbürgschaft und Einbehalt bzw. Gewährleistungsbürgschaft) für einen ungewissen Zeitraum nach Abnahme zur Unwirksamkeit der entsprechenden Abrede und damit zur Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung? Noch mit Urteil vom 25.03.2004 (VII ZR 453/02 - BauR 2004, 1143, 1145) hatte der BGH eine solche Überlappung in Bedingungen der öffentlichen Hand in Höhe von insgesamt 6% (gerade noch) akzeptiert. Einer Überlappung von 10% (OLG Celle, Urt. v. 14.06.2012 - IBR 2012, 453) und auch von 8% (LG Wiesbaden, Urt. v. 25.01.2012 - IBR 2012, 392) haben Instanzentscheidungen schon für unwirksam gehalten. Mit der hier besprochenen Entscheidung wollte der BGH eine klare Grenze setzen und das Überfließen eines Fasses verhindern. Überlappungen in dieser Höhe führen zur Unwirksamkeit wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers. Also: 6% gehen gerade noch, 7% Überlappung sind zu viel. D. Auswirkungen für die Praxis Das Dilemma der Überlappung von Bürgschaften (teilweise Parallelität von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft) lässt sich im Grunde ganz einfach durch eine Regelung lösen, die überraschend in der Praxis kaum verwendet wird. Man kann nämlich eine (allerdings nicht auf erste Anforderung) erfüllbare Vertragserfüllungsbürgschaft über 10% stellen, die zwingend mit Abnahme erlischt oder sich in eine reduzierte Gewährleistungsbürgschaft verwandelt. Nach Abnahme ist dann entweder eine neue Gewährleistungsbürgschaft in reduzierter Höhe (Sicherungsbetrag von bis zu 5%) zu stellen oder die bisherige Bürgschaft als Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 5% weiter gültig. Die letzte Lösung würde auch den oft in der Praxis komplizierten Austausch der Bürgschaften erübrigen. E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Die erste Frage: Der BGH lässt in seiner Entscheidung die Frage offen, ob der formularmäßige Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Aufrechenbarkeit deshalb zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede führt, weil der Einredeausschluss keine Einschränkung in Bezug auf unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Forderungen umfasst (so OLG Jena, Beschl. v. 17.11.2009 - 4 W 485/09 - MDR 2010, 259; OLG Frankfurt, Urt. v. 27.09.2012 - 5 U 7/12 - NJW-Spezial 2012, 686, a.A. OLG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010 - 9 W 65/10 - BauR 2011, 1007 Rn. 5; OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.05.2008 - 22 U 113/07 - NZBau 2008, 767, 768). Nach meiner Auffassung dürfte hier der Auffassung den Vorzug zu geben sein, die nicht zu einer Unwirksamkeit kommt. Der bloße Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit, der nicht gleichzeitig den Verzicht auf die sonstigen Einreden aus § 768 BGB umfasst (vgl. zu letzterem Fall BGH, Urt. v. 16.01.2003 - IX ZR 171/00 - NJW 2003, 1521) führt nach meiner Auffassung nicht zur Unwirksamkeit der Abrede. Zumindest lassen die Segelhinweise einer anderen Entscheidung des VII. Zivilsenats erahnen, dass er dieser Auffassung den Vorzug geben könnte (BGH, Urt. v. 11.05.2006 - VII ZR 146/04 - BauR 2006, 1294, 1296). Zum zweiten Problemkreis: Während die Rechtsprechung bei Begründung der Unwirksamkeit von Bürgschaften auf erste Anforderung (erstmals durch die zitierte Entscheidung vom 04.07.2002 - VII ZR 502/99) eine rückwirkende Geltung aus Gründen des Vertrauensschutzes (für Fälle vor dem 01.01.2003) ausgeschlossen hat, wird zur Überlappungsrechtsprechung in der Entscheidung von der Möglichkeit, die Überlappungsklauseln für eine Übergangszeit für wirksam zu halten, nicht Gebrauch gemacht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Unwirksamkeit von Klauseln, die zu einer Kumulierung von Sicherungsmaßnahmen führen und damit auch den Überlappungsfall betreffen, soweit ersichtlich erst durch Urteile ab 2010 entwickelt (vgl. BGH, Urt. v. 09.12.2010 - VII ZR 7/10 - BauR 2011, 677). Die Unwirksamkeit der Kumulation von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft haben Instanzentscheidungen ebenfalls erst in späteren Jahren diskutiert (vgl. die bereits erwähnten Entscheidungen LG Wiesbaden, Urt. v. 25.01.2012, und OLG Celle, Urt. v. 14.06.2012). Deshalb bestand und besteht durchaus Anlass, bei Überdeckung von Bürgschaften und der Kumulation von Sicherungen in gleicher Weise wie bei der Bürgschaft auf erste Anforderung für frühere Fälle über grundsätzlichen Vertrauensschutz nachzudenken. Der VII. Zivilsenat legt in der besprochenen Entscheidung jedoch dar: Allein der Umstand, dass über die Wirksamkeit einer solchen Klausel noch keine Entscheidung ergangen ist, kann keinen Vertrauenstatbestand begründen. Das überrascht etwas, war es doch bei der neuen Rechtsprechung zur Bürgschaft auf erste Anforderung (und im Übrigen auch bei der Änderung der Rechtsprechung zur Teilrechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft und dem dort begründeten Vertrauensschutz auch nicht anders (vgl. BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - NJW 2001, 1056; BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1803; Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 3/2009 Anm. 1, und Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 32/2007 Anm. 2; vgl. zur ähnlichen Situation bei Änderung der Rechtsprechung zur Vertragsstrafe, Vertrauensschutz für die Vergangenheit, BGH, Urt. v. 23.01.2003 - VII ZR 210/01 - NJW 2003, 1805). Eine klare dogmatische Struktur des Vertrauensschutzes (wann gilt eine solche neue Rechtsprechung rückwirkend, wann erst ab Bekanntwerden der Entscheidung?), gibt es deshalb nach wie vor nicht. Nachdem die Zivilgerichte in verschiedenen höchstrichterlichen Entscheidungen die Tradition des BVerfG fortsetzen, bei der Wirkung getroffener Entscheidung in Bezug auf dort angesprochenen rechtlichen Lösungen zu differenzieren für die Zeit vor und nach der Entscheidung, wäre die Entwicklung einer (immer noch fehlenden) klaren Dogmatik zum Vertrauensschutz bei gravierenden rückwirkenden Eingriffen dringend geboten. |