jurisPR-BGHZivilR 17/2012 Anm. 2 Anwaltszwang beim Beitritt des Nebenintervenienten?
Anmerkung zu BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 12.07.2012 - VII ZB 9/12 Leitsatz A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das Landgericht wies die Beitrittserklärung als unzulässig zurück. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Streitverkündeten blieb erfolglos. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Ziel, als Streithelfer der Antragsgegnerin zugelassen zu werden, weiter. Die Instanzgerichte sind der Auffassung, dass die Beitrittserklärung wegen Verstoßes gegen § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO unzulässig sei. § 486 Abs. 4 ZPO sehe zwar vor, dass ein selbstständiger Beweisantrag vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden könne mit der Folge, dass dieser Antrag insoweit nicht vom Postulationszwang umfasst ist (§ 78 Abs. 3 ZPO). Aber diese Freistellung betreffe nur die Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens, nicht dessen weiteren Betrieb und damit auch nicht die spätere Beteiligung Dritter. Ausnahmen vom Anwaltszwang seien ohne klare Regelung nicht möglich. Deshalb könne der Nebenintervenient nur über einen postulationsfähigen Rechtsanwalt beitreten. Diese Auffassung teilt der BGH im Ergebnis nicht. Richtig sei zwar, dass die Vorschriften über die Nebenintervention und die Streitverkündung (§ 66 ff. ZPO) im selbstständigen Beweisverfahren entsprechend anzuwenden sind. Der Beitritt eines Nebenintervenienten sei eine Prozesshandlung, die grundsätzlich Postulationsfähigkeit erfordere (BGH, Beschl. v. 10.01.2006 - VIII ZB 82/05 - BGHZ 165, 358, 361; Dressler in: BeckOK-ZPO, Stand: April 2012, § 66 Nr. 16). Besonderheiten gebe es aber im selbstständigen Beweisverfahren. Im Folgenden stellt der BGH die kontroversen Auffassungen zum Beitritt des Nebenintervenienten im selbstständigen Beweisverfahren (mit oder ohne postulationsfähigem Anwalt?) dar. Für die Möglichkeit, einem selbstständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt beizutreten, haben sich ausgesprochen: OLG Köln, IBR 2012, 1073 (nur online) und Beschl. v. 15.03.2012 - 3 W 16/12; OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.10.2011 - 10 W 38/11 - BauR 2012, 538; OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.02.2011 - 13 W 139/11 - NJW 2011, 1613 (kritisch hierzu: Ludgen, IBR 2011, 446); Seibel, ibr-online-Kurzkommentar Selbstständiges Beweisverfahren, Stand: 19.01.2012, § 486 Rn. 25; Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl., § 486 Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 78 Rn. 42 und § 486 Rn. 4; Leidig, IBR 2008, 490, und Thierau/Leidig, BauR 2008, 1527; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 70 Rn. 1 und § 78 Rn. 28. Demgegenüber vertritt eine Mindermeinung die Auffassung, dass der Nebenintervenient nur durch einen postulationsfähigen Anwalt beitreten kann (OLG Koblenz, Beschl. v. 12.06.2007 - 5 W 430/07 - NZBau 2009, 41; Zöller/Herget, ZPO, vor § 485 Rn. 4; Kratz in: BeckOK-ZPO, § 486 Rn. 18; Ulrich, Selbstständiges Beweisverfahren mit Sachverständigen, 2. Aufl., Kap. 5 Rn. 220). Der VII. Zivilsenat schließt sich der zuerst genannten Auffassung an. Allerdings folgt die Befreiung vom Postulationszwang auch seiner Auffassung nach nicht aus § 486 Abs. 4 ZPO. Diese Vorschrift regelt lediglich die Antragstellung (Jürgen Thomas in: Das Beweissicherungsverfahren in Bausachen und dessen Neugestaltung, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Baurecht; a.A. OLG Köln, IBR 2012, 1073 (nur online); OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.10.2011 - 10 W 38/11 - BauR 2012, 538; OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.02.2011 - 13 W 139/11 - NJW 2011, 1613; Seibel, ibr-online-Kurzkommentar Selbstständiges Beweisverfahren, § 486 Rn. 25). Der BGH meint: Bereits der Wortlaut des § 486 Abs. 4 ZPO macht deutlich, dass sich der „Antrag“ ausschließlich auf die Verfahrenseinleitung bezieht. Dieser „Antrag einer Partei“ ist in § 485 ZPO und nachfolgend in § 487 ZPO angesprochen. Im Folgenden sichert der Senat diese Auffassung mit einer ausführlichen historischen, teleologischen und gesetzessystematischen Auslegung ab. Auch eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 486 Abs. 4 ZPO auf das gesamte Verfahren (mit Ausnahme einer etwaigen mündlichen Verhandlung) scheide aus. Dennoch sei im Ergebnis ein Nebenintervenient nicht uneingeschränkt wie eine „Partei“ i.S.d. § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu behandeln. Der Nebenintervenient wird durch Beitritt nicht Partei des Rechtsstreits, sondern bleibt Streithelfer. Er ist untergeordneter Beteiligter. Prozesshandlungen kann er nur wirksam vornehmen, soweit diese nicht mit den Erklärungen der unterstützten Hauptpartei im Widerspruch stehen (§ 67 ZPO). Diese untergeordnete Stellung führe jedoch nicht grundsätzlich dazu, dass der Nebenintervenient anders behandelt werden könne als die Partei selbst. Das gelte auch grundsätzlich für den Postulationszwang. Verfahrens- und Prozesshandlungen, die der jeweilige Nebenintervenient für seine Hauptpartei vornimmt, unterliegen daher grundsätzlich dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Allerdings gelten Besonderheiten für das selbstständige Beweisverfahren: Die Beitrittserklärung ist nach Auffassung des Senats keine Verfahrenshandlung, die der Nebenintervenient für die unterstützte Partei vornimmt oder vorzunehmen beabsichtigt. Sie wird von ihm und für ihn selber vorgenommen. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund darin, warum im selbstständigen Beweisverfahren bereits diese Erklärung dem Anwaltszwang unterfallen sollte. Sinn und Zweck des § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfordern dies nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht. Hier sei ein Unterschied zu machen zwischen dem selbstständigen Beweisverfahren und dem streitigen Verfahren. Für das streitige Verfahren hat der BGH für die Beitrittserklärung Anwaltszwang bejaht (BGH, Beschl. v. 04.10.1990 - IX ZB 78/90 - NJW 1991, 229). Das findet eine Rechtfertigung darin, dass für die Durchführung eines streitigen Verfahrens grundsätzlich anwaltliche Vertretung und Postulationszwang gelten. Deshalb ist es konsequent, hier den Postulationszwang auch für den Beitritt im Streitverfahren zu bejahen. Das selbstständige Beweisverfahren könne allerdings insgesamt typischerweise auch ohne Anwalt durchgeführt werden. So kann der Antragsteller das Verfahren nach § 486 Abs. 4 ZPO ohne Anwalt einleiten. Der Antragsgegner braucht sich ebenfalls nicht durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Eine Vielzahl von Beweisverfahren wird in dieser Form, insbesondere auch ohne mündliche Verhandlung, durchgeführt und zum Abschluss gebracht. Von daher ist es – so der VII. Zivilsenat – nicht gerechtfertigt, beim Streithelfer strengere Anforderungen zu stellen als an die Parteien. Der Nebenintervenient bedarf daher für seine bloße Beteiligung am selbstständigen Beweisverfahren, also für seinen Beitritt, keines postulationsfähigen Anwalts. Der Beitritt des Streitverkündeten ist wirksam. Der Senat konnte und musste das nach § 577 Abs. 5 ZPO als Rechtsbeschwerdegericht in der Sache selber entscheiden. Eine Kostenentscheidung hat er nicht getroffen. Im Zuge des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens entstandene Kosten sind Kosten der Nebenintervention. Diese gehören als Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des sich eventuell anschließenden Rechtsstreits (BGH, Beschl. v. 08.10.2009 - V ZB 84/09 - BauR 2010, 248; BGH, Beschl. v. 18.12.2002 - VIII ZB 97/02 - NJW 2003, 1322). C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung, mit der der BGH sich für den Beitritt des Nebenintervenienten im selbstständigen Beweisverfahren der herrschenden Meinung anschließt – kein Postulationszwang für den Beitritt – ist praxisgerecht. Viele selbstständige Beweisverfahren, gerade im Bauwesen, erledigen sich ohne mündliche Verhandlung nach Einholung von Gutachten. Es überzeugt, dass an den Beitritt des Streithelfers im Ergebnis keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Verfahrenseinleitung durch den Antragsteller selber. D. Auswirkungen für die Praxis E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Fehlt eine ausdrückliche Gestattung durch das Gesetz oder das Beschwerdegericht, ist die Rechtsbeschwerde auch dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO (alternativ) vorliegen: Grundsätzliche Bedeutung, Notwendigkeit der Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. In der Praxis ist allerdings die Prognose in Bezug auf diese Zulässigkeitsvoraussetzungen unsicher: Die nicht immer einheitliche und recht restriktive Praxis der verschiedenen Senate des BGH machen eine Vorausschau vor allem deshalb schwierig, weil die Zulassungsvoraussetzungen bei Rechtsbeschwerden und Nichtzulassungsbeschwerden (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO; § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO) von den Senaten häufig ohne nähere Begründung verneint werden. Der – nach dem Gesetz zugelassene in der Praxis fast regelmäßige – Verzicht auf nähere Begründungen erschwert eine berechenbare Fixierung von rechtlichen Leitlinien und damit die Rechtsfortbildung. Was die Kosten angeht: In der Regel ergeht im selbstständigen Beweisverfahren keine Kostengrundentscheidung (Ausnahme: § 494a Abs. 2 ZPO). Kostenersatz kann aber unter Umständen – worauf der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich hinweist – aus materiell-rechtlichen Gesichtspunkten geschuldet sein (sachlich-rechtlicher Ersatzanspruch, vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Übersicht vor § 91 Rn. 43 ff.). |