BauR 7/2010, Seite 983

Gilt die Sekundärhaftung des Architekten auch nach der Schuldrechtsmodernisierung?

Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof und Hans-Uwe Pasker *

Die Sekundärhaftung der Architekten hat vor dem Hintergrund oft erst lange nach der Fertigstellung eines Bauvorhabens auftretender Baumängel große praktische Bedeutung. Sie ist seit Langem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, aber nicht unumstritten. Der Bundesgerichtshof hat sich erst kürzlich wieder mit der Problematik beschäftigt (Urteil v. 23.7.2009 – VII ZR 134/08 –) und seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und präzisiert. Der folgende Beitrag beschäftigt sich kritisch mit dem Rechtsinstitut der Sekundärhaftung. Er kommt zu der Erkenntnis, dass die Grundsätze der Sekundärhaftung seit Einführung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit dessen neugestaltetem Verjährungsrecht nicht mehr gelten.

Einleitung

Bislang hat der Bundesgerichtshof noch nicht über die Frage entschieden, ob die Sekundärhaftung des Architekten auch für das durch die Schuldrechtsmodernisierung geschaffene neue Recht gilt. Seine bisherigen Entscheidungen beziehen sich auf Fälle, die dem Recht vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes unterliegen 1.

Teile der Literatur gehen offenbar stillschweigend davon aus, dass die als Richterrecht vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze der Sekundärhaftung auch nach der Schuldrechtsmodernisierung unverändert weiter gelten 2.

In einem neueren Beitrag zur Sekundärhaftung des Architekten in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führen Nossek und Klaft aus 3:

„Eine Abkehr von der Sekundärhaftung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfte indes nicht zu erwarten sein“.

Ob diese Prognose zutrifft, ist heute noch offen. Man darf gespannt sein, wie die Rechtsprechung des VII. Senats sich hierzu stellen wird. Für den Haftungsumfang der Architekten ist die Beantwortung der Frage von zentraler Bedeutung. Wir vertreten die Auffassung, dass es gerechtfertigt ist, die Risiken zu begrenzen und zu vermeiden, dass die Architekten schlechter stehen als die Berufsgruppen, auf die die Sekundärhaftung eigentlich zugeschnitten war.

Die Parallele zur Anwaltshaftung

Ursprünglich ist die Sekundärhaftung des Architekten in Entsprechung zur Sekundärhaftung des Anwalts entwickelt worden. Diese Haftung wurde jeweils auf besondere, aus Sachwalterstellung hergeleitete umfassende Aufklärungs- und Beratungspflichten gestützt. Vor allem sollte diese neben den Hauptpflichten installierte, eine gesonderte Haftung auslösende Nebenpflicht im Ergebnis dazu dienen, den Auftragnehmer vor unmerklich ablaufenden Verjährungsfristen zu schützen. Zentrale Überlegung dabei war, dass Anwälte und Architekten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gleichermaßen besonderes Vertrauen ihrer Auftraggeber in Anspruch nehmen und daher auch verjährungsrechtlich gleich zu behandeln sind.

Die Sekundärhaftung des Anwalts wurde aus § 242 BGB hergeleitet. Sie sollte eine Verlängerung der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist nach § 51b BRAO a.F. auf sechs Jahre bewirken 4.

Ähnliche Gedanken liegen der vom Bundesgerichtshof entwickelten Sekundärhaftung des Architekten zugrunde 5.

Der (umfassend beauftragte) Architekt muss den Bauherren uneigennützig u.a. auch darüber beraten, dass gegen Baubeteiligte und gegen ihn selbst gerichtete Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche verjähren. Aus der Verletzung dieser Verpflichtung resultiert ein Schadensersatzanspruch mit dem Ergebnis, dass die Verjährung der gegen ihn gerichteten Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche als nicht eingetreten gilt 6. Dogmatisch verankert der Bundesgerichtshof die Sekundärhaftung in der Stellung des umfassend beauftragten Architekten als Sachwalter des Bauherrn und leitet die entsprechenden Verpflichtungen mit einer eigenen Verjährungsfrist (bzw. einem Einwand aus § 242 BGB gegenüber der Verjährungseinrede) aus der Verletzung einer Nebenpflicht her.

Die sowohl beim Anwalt als auch beim Architekten aus dieser Sachwalterhaftung entwickelte Überlegung: Der Mandant des Anwalts und der vom umfassend beauftragten Architekten betreute Bauherr sollen nicht mit einer strikt kenntnisunabhängig ablaufenden Verjährung von Schadensersatzansprüchen überrascht werden. Es waren z.B. Fälle denkbar, bei denen die Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant schon drei Jahre zurücklag, ein Schaden aber noch nicht eingetreten war. Deshalb hat die Rechtsprechung mit dem Institut der Sekundärhaftung die dreijährige Anwaltshaftung des § 51b BRAO a.F. faktisch auf sechs Jahre verdoppelt.

Was die Anwaltshaftung angeht, gilt nunmehr Folgendes: Durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004 7, in Kraft getreten am 15.12.2004, wurden die durch die Schuldrechtsmodernisierung eingeführten allgemeinen Verjährungsvorschriften auf das Gebiet der Anwaltshaftung erstreckt. § 51b BRAO mit der strikten kenntnisunabhängigen Verjährungsregelung (drei Jahre nach Mandatsende) gilt nicht mehr.

Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Anwälte wurde also den allgemeinen Verjährungsregelungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes angepasst. Damit setzt der Verjährungsbeginn von Ansprüchen gegen Anwälte seit dem 15.12.2004 nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, dass der Auftraggeber die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des potenziellen Schädigers entweder positiv kennt oder bei Meidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit nicht kennt.

Der Gesetzgeber hat in die Regelung des Verjährungsbeginns genau das Element – positive Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis – eingefügt, dessen Fehlen ursprünglich Anlass dafür war, die strikte kenntnisunabhängige Verjährungsfrist zu verlängern.

Vor diesem Hintergrund ist bei der Haftung des Anwalts kein Raum mehr für die Anwendung der Sekundärhaftung. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004 8 bei Aufhebung der Vorschrift des § 51b BRAO für die Haftung des Anwalts ausgeführt 9:

„Für die von der Rechtsprechung entwickelte verjährungsrechtliche Sekundärhaftung besteht nach der Neuregelung kein Bedürfnis mehr.“

Was die Anwaltshaftung angeht, kann demnach – auch wenn es nicht überall zur Kenntnis genommen wird – die Sekundärhaftung keine Rolle mehr spielen 10.

Sekundärhaftung des Architekten

Die Sekundärhaftung des Architekten ist jedenfalls seit dem grundlegenden Urteil vom 16.3.1978 ständige Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesgerichtshofs. Deren tragende Gedanken lassen sich wie folgt zusammenfassen 11.

Zu den Betreuungsaufgaben des umfassend beauftragten Architekten gehört es auch, Mängel der Leistungen anderer Baubeteiligter, aber auch mögliche eigene Planungs- und Aufsichtsfehler zu prüfen. Er muss dem Bauherrn solche Mängel seiner eigenen Leistung so rechtzeitig offenbaren, dass der Bauherr noch vor Eintritt der Verjährung seine Rechte gegen ihn – den Architekten – geltend machen kann. Es zählt danach zu den Nebenpflichten des Architekten, auf den möglichen Ablauf der gegen Baubeteiligte und ihn selbst gerichteten Verjährung hinzuweisen und damit den Bauherrn vor einer unbemerkt eintretenden Verjährung zu warnen.

Tut er dies nicht, informiert er den Bauherren also nicht ungefragt über eigene Fehler, macht er sich gegenüber dem Bauherren schadensersatzpflichtig. Der selbstständige Schadensersatzanspruch geht dahin, dass die Verjährung der gegen den Architekten gerichteten Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche als nicht eingetreten gilt (§ 242 BGB).
Grund für diese im Ergebnis doppelte Haftung des Architekten ist nach der Dogmatik des Bundesgerichtshofs dessen Stellung als Sachwalter, die sich aus der besonderen Vertrauensstellung des Architekten ergeben soll.

In der Folgezeit hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung präzisiert. Ob der Architekt die Pflicht zur Aufklärung über eigene Fehler hat, ergibt sich danach aus dem übernommenen Aufgabenkreis.

Zu fragen ist also im Einzelfall, ob der übernommene Aufgabenkreis den Architekten zum Sachwalter macht.

Diese Linie hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen (u.a.) bis in die jüngste Zeit beibehalten 12. Klärungsbedürftig war in erster Linie, ob es der konkret übernommene Aufgabenkreis als Tragwerksplaner oder als nur mit den Leistungsphasen 1 bis 6 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. Beauftragter rechtfertigte, den Architekten als Sachwalter zu behandeln.

Der umfassend beauftragte Architekt, bei dem alle Fäden des Baugeschehens zusammenlaufen, hat zweifellos eine zentrale Stellung und erhebliche Verantwortung für das Gelingen des Bauvorhabens. Der Bauherr muss sich daher in besonderer Weise auf ihn verlassen können. Aber lässt sich daraus eine so umfassende besondere Haftung konstruieren, auch mit der Verpflichtung zum Hinweis auf die gegen ihn selbst gerichtete Verjährung?

Die Rechtsprechung zur Sachwalterhaftung wurde und wird in der Literatur kritisiert 13.

Diese Kritik ist für unser Thema deshalb von Bedeutung, weil Angriffe auf das Konstrukt des „Architekten als Sachwalter“ zugleich die Begründung für dessen Sekundärhaftung in Bedrängnis bringen. In der Tat erschließt es sich nicht ohne Weiteres, warum aus der Institutionalisierung einer Sachwalterhaftung oder gar aus diesem Begriff weitgehende, über die gewährleistungsrechtlichen Pflichten des Architekten hinausgehende Überwachungspflichten folgen sollen 14. Es scheint uns generell fragwürdig, aus dem Begriff der Sachwalterhaftung eine Art Selbstbezichtigungspflicht zu konstruieren, die soweit geht, dass der Architekt rechtsberatend auf den Ablauf der auch gegen ihn gerichteten Gewährleistungsansprüche hinweisen muss.

Schon im Römischen Recht galt der Grundsatz: nemo tenetur adversarium armare contra se – niemand ist dazu gezwungen, seinen Gegner mit Waffen auszustatten – 15. Darf dieses Prinzip – kein Gebot der Selbstbelastung – beim Architekten nicht gelten? Vor allem aber: Wenn die Sekundärhaftung schon beim Anwalt nicht mehr greifen sollte, kann sie dann noch beim Architekten zur Verlängerung der gegen ihn gerichteten Verjährung führen?

Die Konstruktion einer Sachverwalterhaftung, die Beratungs- und Aufklärungspflichten als Nebenpflichten installiert, deren Verjährung sich nach den gesetzlichen Vorschriften richtet, scheint vom Ansatz her auch aus folgendem Grund zweifelhaft: Bei Vereinbarung der HOAI im Architektenvertrag wird auch der Umfang der Leistungspflichten des Architekten nach den Leistungsbildern definiert. Bekanntlich ist die HOAI zwar nicht unmittelbar geltendes Vertragsrecht, sondern nur Preisrecht. Die Parteien können aber durch Bezugnahme auf die Leistungsbilder oder Leistungsphasen der HOAI diese zum Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht machen. Dann stellt die HOAI eine Auslegungshilfe zur Bestimmung der vertraglich geschuldeten Leistung dar 16. In Fällen einer solchen vertraglichen Bezugnahme bestimmt sich der Leistungsumfang nach den Leistungsphasen der HOAI mit der Folge, dass die entsprechende Betreuungsleistung nach § 15 Abs. 2 Nr. 8/9 bzw. § 3 Abs. 4 Nr. 8/9 HOAI n.F. geschuldet ist.

Wenn aber mit entsprechender vertraglicher Vereinbarung bereits aus der übernommenen Hauptpflicht des Architekten derartige Betreuungs- und Aufklärungspflichten folgen können, verstößt es gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch (A ≠ Non A), die gleichen Verpflichtungen aus einer aus der Sachwalterhaftung konstruierten Nebenpflicht herzuleiten. Was als Hauptpflicht geschuldet ist, kann nicht gleichzeitig Gegenstand einer Nebenpflicht sein 17. Von daher bleibt aus der Sachverwalterhaftung allenfalls Raum für die Nebenpflicht, über die Verjährung der gegen den Architekten selber gerichteten Ansprüche aufzuklären. Letztlich dient daher die Sachwalterhaftung lediglich als Vehikel, mit der Konstruktion einer Nebenpflicht eine längere Verjährung der gegen den Architekten gerichteten Ansprüche zu erreichen.

Bleibt alles, wie es ist, wird der Architekt als Sachwalter weiterhin zeitlich verlängert haften 18.

Aber kann alles so bleiben, wie es ist?

Verstößt es nicht gegen die Wertung des Gesetzgebers im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, wenn der Anwalt im Ergebnis von der Verpflichtung zur Beratung über die ihn selbst betreffende Verjährung und die daraus resultierende Sekundärhaftung frei wird, der Architekt aber, der grundsätzlich zur Rechtsberatung weder berechtigt noch verpflichtet ist, gleichwohl einer derart weitgehenden Sekundärhaftung unterliegt?

Anders als bei der Anwaltshaftung, bei der die kenntnisunabhängige Verjährungsvorschrift des § 51b BRAO a.F. aufgehoben worden ist, gibt es allerdings in der werkvertraglichen Regelung des § 634a BGB nach wie vor eine kenntnisunabhängige Verjährung (§ 634a Nr. 1 und 2 BGB). Gemäß § 634a BGB Nr. 1 und 2 besteht diese unabhängig von der allgemeinen gesetzlichen Regelung (§ 199 BGB) und hängt demgemäß anders als die allgemeine Verjährung nicht von Kenntnis (oder grob fahrlässiger Unkenntnis) des Anspruchstellers ab. Bei einem Bauwerk gilt für die Architektenleistungen (Planung und Überwachung) mithin die kenntnisunabhängige, aber immerhin fünf Jahre laufende Verjährungsfrist. Kann sich diese Verjährungsfrist kenntnisabhängig auch heute noch im Ergebnis über die Konstruktion eines auf Sachwalterstellung gestützten Sekundäranspruchs verlängern? Wir meinen, sie kann es nicht.

Als eigentlicher Anwendungsbereich der aus der Sachwalterhaftung konstruierten Nebenpflicht verbleibt bei näherer Betrachtung nur die rechtsberatende Verpflichtung zum Hinweis auf Verjährungsfristen als mögliche Nebenpflicht des Sachwalters. Lässt sich dieses – ohnehin künstliche – (Selbstbelastungs-) Konstrukt vor dem Hintergrund der durch die Schuldrechtsmodernisierung geschaffenen neuen Verjährungsregeln halten?

Der Gesetzgeber regelt in § 634a Abs. 3 BGB n.F. ausdrücklich, dass bei arglistigem Verschweigen des Mangels die regelmäßige Verjährungsfrist gilt. Für arglistiges Verschweigen genügt allerdings bloße Nachlässigkeit nicht 19. Für diese speziellen Fälle wurde also eine von der Kenntnis (oder grobfahrlässigen Unkenntnis) des Anspruchstellers nach § 199 BGB abhängige Verjährung eingeführt, die allerdings im Baurecht von geringer praktischer Bedeutung ist, weil die allgemeine Verjährungsfrist des § 634a Nr. 2 BGB als die grundsätzlich längere maßgebend bleibt (§ 634a Abs. 3 Satz 2 BGB).

Wenn es aber nach der Vorstellung des Gesetzgebers selbst bei arglistigem Verschweigen eines Mangels grundsätzlich bei der allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist ab Kenntnis (oder ggf. grob fahrlässiger Unkenntnis) bleiben soll unter der Voraussetzung, dass die subjektiven Voraussetzungen des § 199 BGB erfüllt sind, ist nicht einzusehen, warum sich im Ergebnis die Haftung des Architekten schon bei bloßer Fahrlässigkeit des Anspruchsverpflichteten über das Institut der aus der Sachwalterhaftung entwickelten Sekundärhaftung – entgegen dieser vom Gesetzgeber ausdrücklich zum Ausdruck gebrachten Tendenz – verlängern soll. Wenn das schon bei arglistigem Verschweigen eines Mangels durch den Verpflichteten nicht der Fall ist, mit welchem Recht soll es dann über den Sekundäranspruch bei fahrlässigem Unterlassen eines Hinweises auf ablaufende fünfjährige Gewährleistungsfrist von Bedeutung sein? Liegt darin nicht eine Überspitzung der Sachwalterhaftung, für die beim Architekten ebenso wenig wie beim Anwalt, der dem Sekundäranspruch nicht mehr unterliegt, tatsächlich kein Bedürfnis (mehr) besteht?

Das Damoklesschwert der Haftung würde unbegrenzt über dem Haupt des Architekten schweben. Dieser könnte nur außer Reichweite geraten, wenn er bei jedem gerügten Mangel vorsorglich darauf hinweist, es könne auch ein Planungs- und/oder Bauüberwachungsfehler vorliegen 20. Die Vorstellung des sich ständig absichernden Architekten ist als Leitbild für die Praxis untauglich. Angesichts der vom Gesetzgeber detailliert ausgestalteten Regelung, die bestimmte Fälle kenntnisabhängigen Verjährungsablaufs in § 634 Abs. 3 Satz 1 BGB berücksichtigt, ist es aus unserer Sicht zweifelhaft, ob man darüber hinaus heute noch für die Haftung des Architekten in Erweiterung der Neuregelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auf die bisherigen Grundsätze der Sekundärhaftung verweisen kann.

Die Zweifel bestehen unabhängig davon, ob man die Figur des „Sachwalters“ generell für hinreichend abgrenzbar hält und/oder eine Verpflichtung zur Selbstbezichtigung aus dieser Stellung herleiten will oder nicht 21.

Nicht zu vergessen ist jedenfalls, dass die Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs, mit der die Sachwalterhaftung begründet worden ist, einen Fall vor Inkrafttreten der HOAI betraf 22. Unter der Geltung der früheren GOÄ aber wurde häufig eine nur zweijährige Verjährungsfrist vereinbart, sodass das Bedürfnis, den Bauherren verjährungsrechtlich besser zu stellen, deutlich größer war als in der Zeit danach 23.

Heute – unter der Geltung der (neuen) HOAI – verjähren die gegen den Architekten gerichteten Ansprüche in längerer Frist (§ 634a BGB). Die Verjährung beginnt erst mit dem Abschluss der Arbeiten des Architekten, die häufig erst nach Abnahme des Bauwerks vollständig erbracht werden 24. Insbesondere, wenn auch die Leistungen der Leistungsphase des früheren § 15 Abs. 2 Nr. 9 HOAI, jetzt § 3 Abs. 4 Nr. 9 HOAI n.F. übertragen sind (Objektbetreuung und Dokumentation mit den dort beschriebenen Abwicklungsleistungen), beginnt die Verjährung erst sehr spät 25.

Zudem ist aus der Gleichstellung des Architekten mit dem Anwalt spätestens jetzt eine Benachteiligung des Architekten geworden. Während der Anwalt – wie die Gesetzesbegründung bei Abschaffung des § 51b BRAO eindeutig ergibt – einer Sekundärhaftung nicht mehr unterliegt, soll sich der Architekt in Umkehrung der Ausgangslage weiterhin unüberschaubaren Haftungsrisiken gegenübersehen. Der Gleichlauf bei den aus § 242 BGB abgeleiteten Pflichten besteht nicht mehr 26.

Wenn der Gesetzgeber eine spezielle Regelung für das arglistige Verschweigen und deren Kenntnis (bzw. grob fahrlässige Unkenntnis) über § 199 BGB – und damit einen besonderen Fall der kenntnisabhängigen Verjährung – nach den allgemeinen Grundsätzen regelt (§ 634a Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 195 und § 199 BGB), dürfte es mit der Struktur der Neuregelung kaum vereinbar sein, diese durch die Anwendung der bisherigen Regelungen über die Sekundärhaftung zu unterlaufen. Will man eine so weitgehende, im Ergebnis zur Verjährungsverlängerung führende Haftung beibehalten, käme es für die Anwendung kenntnisabhängiger Verjährung von Ansprüchen gegen den Architekten nicht mehr nur auf arglistiges Verschweigen an, sondern eine kenntnisabhängige Verjährungsfrist würde bereits bei Ablauf der längeren Gewährleistungsfrist im Falle bloßer Nachlässigkeit des Architekten einsetzen, wenn nur der Verdacht einer eigenen Haftung des Architekten besteht. Das scheint uns aber mit der speziellen Regelung des § 634a Abs. 3 Satz 1 BGB für die Fälle des arglistigen Verschweigens nicht vereinbar zu sein und im Gegensatz zur Wertung des Gesetzgebers zu stehen.

Gewährleistungsansprüche gegen den Architekten und deren Verjährung – die jedenfalls im Baurecht deutlich länger ist, als die allgemeine dreijährige Verjährung des § 195 BGB – können nach unserer Auffassung nicht ohne Verstoß gegen die Systematik der §§ 634, 634a BGB durch eine weitere kenntnisabhängige Verlängerung in Form des Sekundäranspruchs erweitert werden.

Für eine Überdehnung der Haftung des Architekten aus der Konstruktion des Sekundäranspruchs auf der Grundlage einer Sachwalterhaftung besteht – gerade nach dem Ende des Sekundäranspruchs beim Anwalt – kein Anlass mehr.

Fazit

Unabhängig von der Frage, ob – wie wir meinen – die kritischen Stimmen zur Sachverwalterhaftung dieses Institut nicht ohnehin mit Recht generell infrage stellen, scheint uns auf Grund der Wertung des Gesetzgebers nahezuliegen: Auch wenn man es bei der Sachverwalterhaftung belässt, kann und muss diese nicht soweit gehen, dass der Architekt – dies im Gegensatz zum Rechtsanwalt – verpflichtet bleibt, auf den Eintritt der Verjährung von gegen ihn gerichteten Ansprüchen hinzuweisen und damit im Wege der Sekundärhaftung über die gesetzlichen Verjährungsfristen hinaus als Sachwalter zu haften. Wenn schon den Rechtsanwalt, dessen originäre Tätigkeit in der Rechtsberatung besteht, eine so weitgehende Haftung nicht mehr trifft, kann dies a fortiori nicht mehr für den Architekten gelten. Es ist keine zwingende Notwendigkeit erkennbar, aus der Sachwalterstellung ein Selbstbezichtigungsprogramm zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten, das den Architekten dazu verpflichtet, über eine gegen ihn selbst gerichtete Verjährung mit den Folgen der Sekundärhaftung aufzuklären.

Vor diesem Hintergrund besteht nach unserer Überzeugung für die Sekundärhaftung des Architekten heute kein Raum mehr.

Soweit es nicht um Ansprüche geht, die ihre Ursache in Mängeln der Architektenleistung (Planungs- und Aufsichtsfehler, also im Anwendungsbereich des § 634 BGB) haben und daher nicht nach § 634a BGB in der dort geregelten Frist verjähren, sondern um die Verletzung von Nebenpflichten des Architekten, gilt ohnehin die allgemeine Verjährungsfrist des § 195 BGB und damit die Abhängigkeit des Verjährungslaufs von Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Anspruchstellers (§ 199 BGB). Insoweit bedarf es des Rückgriffs auf die Grundsätze der früheren Sekundärhaftung – ebenso wie im Anwaltshaftungsrecht – grundsätzlich nicht mehr, weil ihr Anlass – den Auftraggeber nicht von einer kenntnisunabhängigen kurzen Verjährung bei Schadensersatzansprüchen zu überraschen – durch die Neuregelung des Verjährungsrechts entfallen ist 27.

Nemo ad infinitum obligatur. Niemand haftet zeitlich unbegrenzt. Das muss auch für den umfassend beauftragten Architekten gelten.

Damit gibt es nach unserer Auffassung für das neue Recht nach der Schuldrechtsmodernisierung keinen Raum mehr für eine Sekundärhaftung des Architekten.

 

* Reinelt, Ekkehart/Pasker, Hans-Uwe: Gilt die Sekundärhaftung des Architekten auch nach der Schuldrechtsmodernisierung? [BauR 2010, 983-988]
1 Urteil v. 26.10.2006 – VII ZR 133/04 –, BauR 2007, 423; Urteil v. 23.7.2009 – VII ZR 134/08 –, NJW 2009, 3360.
2 Kleine-Möller/Merl, Handbuch des Privaten Baurechts, 4. Aufl., 15, 1168; Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, 10. Aufl., Einleitung 204; Lauer, Verjährung des Mängelanspruchs und Sekundärhaftung im Architekten recht, BauR 2003, 1639, 1640; zweifelnd offenbar Motzke/Preußner/Kehrberg/Kesselring, Die Haftung des Architekten, 9. Aufl. X, Rdnr. 39.
3 BauR 2010, 152, 156.
4 Reinelt, ZAP-Kolumne 2005, 209.
5 BGH, Urteil v. 16.3.1978 – VII ZR 145/76 –, NJW 1978, 1311 = BGHZ 71, 144, 148.
6 BGH, a.a.O., 149.
7 BGBl. I, 3214.
8 BGBl. I 2004, 3214.
9 BT-Drucks. v. 24.8.2004, 15/3653, S. 14, rechte Spalte.
10 Reinelt, ZAP-Kolumne 2005, S. 209.
11 Vgl. hierzu auch Leupertz, in: Kuffer/Wirth, Handbuch des Fachanwalts Bau- und Architekten recht, 10. Kapitel, Rdnr. 193 ff.
12 Urteil v. 27.9.2001 – VII ZR 320/00 –, NJW 2002, 288; Urteil v. 23.7.2009 – VII ZR 134/08 –, NJW 2009, 3360 (keine Haftung des nur mit Teilaufgaben betrauten Planers).
13 Übersicht bei Leupertz, a.a.O., Rdnr. 195.
14 Vgl. zur Herleitung von gewünschten Rechtsfolgen aus Begriffen oder Leitbildern (in der Art des logischen Realismus – universalia ante rem – gegenüber dem logischen Nominalismus – universalia post rem – aus dem mittelalterlichen Universalienstreit Reinelt, Irrationales Recht, ZAP Sonderheft für Egon Schneider zum 75. Geburtstag 2002, S. 52.
15 Glosse von Baldus de Ubaldis zum Codex lustianus von 529 n. Chr., 2.1.4.
16 BGH, Urteil v. 26.7.2007 – VII ZR 42/05 –, BGHZ 173, 314; BGH, Urteil v. 13.3.2008 – VII ZR 194/06 –, BGHZ 176, 23.
17 Vgl. dazu auch Korbion/Manscheff/Vygen, HOAI, 7. Aufl., § 15 Rdnr. 202.
18 Nach Auffassung von Koeble, in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., 12. Teil, Rdnr. 13, sogar zeitlich unbegrenzt.
19 OLG Celle, BauR 2007, 2047; Palandt/Sprau, § 634a Rdnr. 20 m.w.N.
20 Lauer, a.a.O., 1640.
21 Vgl. Scholtissek – Die Begrenzung der Sachwalterstellung und der Haftung des Architekten, NZBau 2010, 94, 96, „Fiktion der Rechtsprechung“; Lauer, a.a.O., BauR 2003, 1639, 1643: „kühne juristische Konstruktion“.
22 Vgl. Fußn. 5.
23 Vgl. hierzu von Rintelen, Die Sekundärhaftung des Architekten – Bestandsaufnahme, Grenzen und Kritik –, NZBau 2008, 209, 210.
24 Motzke/Preussner/Kehrberg/Kesselring – Die Haftung des Architekten, 9. Aufl. X, Rdnr. 23.
25 Motzke; a.a.O., Rdnr. 25.
26 Scholtissek, a.a.O., 95; von Rintelen, a.a.O., 214.
27 Vgl. auch Motzke/Preussner/Kehrberg/Kesselring, Die Haftung des Architekten, 9. Aufl. X, Rdnr. 39; Lauer, a.a.O., 1645.