ZAP Kolumne 2008, Seite 179

ZAP Kolumne

Verstöße gegen anwaltliches Berufsrecht und Rechtsfolgen
Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 

Verstöße gegen anwaltliches Berufsrecht können nach den Vorschriften der BRAO geahndet werden. Der Anwalt muss eine Rüge seiner Kammer, eine Missbilligung oder auch ein anwaltsgerichtliches Verfahren befürchten (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO, § 74 Abs. 1 BRAO, § 113 BRAO). Das Anwaltsgericht kann eine Warnung, einen Verweis, Geldbuße bis 25.000 €, ein befristetes Berufsverbot (§ 140a BRAO) oder schließlich sogar die Ausschließung aus der Anwaltschaft und ein endgültiges Berufsverbot verfügen (§§ 150 ff. BRAO).

Welche Folgen haben aber Berufsverstöße in zivilrechtlicher und prozessrechtlicher Hinsicht?

Die Frage, ob ein Verstoß gegen Berufspflichten der BRAO (§§ 43, 43a, 43b BRAO i. V. m. den Vorschriften der Berufsordnung, § 2 ff.) zivilrechtliche oder prozessrechtliche Wirkungen hat, lässt sich nicht generell beantworten. Unmittelbare Auswirkungen dieser Art können Verstöße gegen Berufsrecht nicht haben. Denn die Zuständigkeit der Satzungsversammlung, die das Berufsrecht beschließt, bezieht sich nur auf die Konkretisierung beruflicher Rechte und Pflichten. Weiter reicht die Satzungskompetenz nicht (§ 59b BRAO).

Dennoch können Berufsverstöße sich mittelbar auf die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Anwalts auswirken. Es bedarf in jedem Fall einer Analyse, ob der Berufsverstoß zivilrechtliche und/oder prozessuale Folgen hat, ob also beispielsweise ein berufswidrig abgeschlossener Vertrag zur Unwirksamkeit nach §§ 134 oder 138 BGB führt oder ob zivilrechtliche Folgen ggf. §§ 242 oder 823 Abs. 2 BGB entnommen werden können (zur Anwendung des § 134 BGB bei berufswidrigem Verhalten von Ärzten vgl. BGH WM 1986, 565; zu entsprechenden Verstößen von Vermessungsingenieuren vgl. BGH WM 1986, 1324). Ebenso bedarf es einer Prüfung im Einzelfall, ob berufswidriges Verhalten die Unwirksamkeit von Prozesshandlungen zur Folge haben kann. Die Beantwortung beider Fragen ist davon abhängig, von welchem Gewicht der Berufsverstoß ist.

Wer etwa unter Umgehung des Gegenanwalts (Verstoß gegen § 12 BORA) mit der Gegenpartei unmittelbar vertragliche Vereinbarungen schließt, handelt zwar berufswidrig. Die Vereinbarung ist aber gleichwohl wirksam (BGH NJW 2003, 3692; OLG Koblenz MDR 2008, 115; HARTUNG, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Aufl., 2006, § 12, Rn. 20). Eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 12 BORA, der die Umgehung des Gegenanwalts verbietet, ist übrigens Gegenstand einer kürzlich eingereichten Verfassungsbeschwerde eines Anwalts (BVerfG – 1 BvR 848/07, vgl. NJW-Spezial 2008, 63).

Wird dagegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen verletzt, führt das zur Unwirksamkeit des entsprechenden Anwaltsvertrages (Verstoß gegen § 134 BGB; PALANDT-HEINRICHS, 67. Aufl., 2008, § 134 Rn. 20). Auch eine Verletzung des § 46 BRAO hat zivilrechtliche Folgen: Ein Syndikusanwalt, der beispielsweise für den eigenen Arbeitgeber aufgrund Anwaltsvertrags im Arbeitsgerichtsprozess gegen Mitarbeiter tätig wird, handelt auf der Basis eines nach § 134 BGB nichtigen Anwaltsvertrags (BGH, Urt. v. 25. 2. 1999 – IX ZR 384/97, NJW 1999, 1715). Er hat demgemäß keinen vertraglichen Vergütungsanspruch. Der BGH geht davon aus, dass die Berufsausübungsregelung, die die Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit in § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO garantieren soll, ein Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht ist. Die Verletzung des Tätigkeitsverbots führt daher zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags.

Die Beispiele belegen: Es ist in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob der Berufsverstoß von gravierender Bedeutung ist. Dann zieht er die zivilrechtliche Unwirksamkeit berufswidrig abgeschlossener Verträge nach sich. Sind die Berufspflicht und der Verstoß gegen sie von weniger schwerwiegender Bedeutung, hat es lediglich berufsrechtliche Konsequenzen.

Das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (BGBl. 2007 I, S. 358), das am 1. 6. 2007 in Kraft getreten ist, hat bekanntlich die Zulassung der Rechtsanwälte bei den Gerichten abgeschafft. Die Zulassung zur Anwaltschaft ist nunmehr ausschließlich bei den Anwaltskammern angesiedelt (§ 6 BRAO). Ausgenommen ist die Zulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof. Sie wird vorgenommen durch das Bundesministerium der Justiz als Zulassung beim BGH auf Vorschlag des beim BGH gebildeten Wahlausschusses (§§ 164, 170 BRAO).

Inwieweit hat nun die Zulassung des Anwalts Folgen für die Wirksamkeit von Prozesshandlungen? Nach der früheren Rechtslage gab es daran keinen Zweifel. Wer nicht bei einem Gericht zugelassen war, war dort auch nicht postulationsfähig (vgl. REINELT NJW 1999, 3248; VIZ 2000, 584). Seine Prozesshandlungen blieben also ohne Wirkung. Unklar ist, ob das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft die Rechtslage in Bezug auf die Postulationsfähigkeit geändert hat. Mit Sicherheit bleibt es dabei, dass Prozesshandlungen eines Instanzanwalts vor dem BGH mangels Postulationsfähigkeit unwirksam sind. Denn für die Zulassung beim BGH gelten unverändert die bisherigen Vorschriften der §§ 162 ff. BRAO. Sie beschränken die Zulassung und damit die Postulationsfähigkeit beim BGH auf die vom Bundesjustizministerium ernannten BGH-Anwälte.

Aber wie steht es umgekehrt? Können Rechtsanwälte beim BGH rechtswirksame Prozesshandlungen vor den Instanzgerichten vornehmen oder enthält § 172 BRAO nur ein Berufsverbot? Dem Wortlaut der Vorschrift selber ist das nicht zu entnehmen („Die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte dürfen nur vor dem Bundesgerichtshof, den anderen Obersten Gerichtshöfen des Bundes, dem gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe und dem Bundesverfassungsgericht auftreten“).

Ob das Verbot für BGH-Anwälte, vor den Instanzgerichten aufzutreten, nur berufsrechtliche Wirkung hat oder auch die Postulationsfähigkeit berührt, ist umstritten (KLEINE-COSACK, BRAO, 4. Aufl., § 172 Rn. 2). Es könnte sich um eine rein berufsrechtliche Regelung oder aber darüber hinaus auch um eine auf den BGH bezogene „beschränkte Postulationsfähigkeit“ der BGH-Anwälte handeln mit der Folge, dass eine ggf. durch einen BGH-Anwalt vor den Instanzgerichten eingereichte Klage oder sonstige Prozesshandlung ohne Wirkung bleibt. Für das frühere Recht lässt sich die Auffassung einer insoweit beschränkten Postulationsfähigkeit einer älteren Entscheidung des BGH v. 7. 11. 1983 (NJW 1984, 1042, 1043) entnehmen. Dort spricht der BGH ausdrücklich davon, dass es insoweit um die Frage der Postulationsfähigkeit geht („Die zahlenmäßige Begrenzung der beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte ist geboten, weil ihre Postulationsfähigkeit beschränkt ist“).

Die Frage ist aber, ob das am 1. 6. 2007 in Kraft getretene Gesetz, das ja die Zulassung bei den einzelnen Gerichten im Übrigen abgeschafft hat, an dieser Rechtslage etwas geändert hat, also, ob das entsprechende aufrechterhaltene Berufsverbot in § 172 BRAO die Wirksamkeit der entsprechenden Prozesshandlungen berührt oder nicht. Neu aufgenommen wurde § 172b BRAO. Die Vorschrift verpflichtet den BGH-Anwalt, eine Kanzlei am Sitz des Bundesgerichtshofs einzurichten und zu unterhalten. Die Regelung des § 172 BRAO, die die Beschränkung des Auftretens vor anderen Gerichten enthält, wurde dagegen nicht geändert. Das könnte dafür sprechen, dass es nach wie vor über die Regelung einer Berufspflicht hinaus auch um eine Frage der beschränkten Postulationsfähigkeit geht.

Nach Auffassung von HARTUNG (BRAO, 2. Aufl., § 172 Rn. 4) regelt die Vorschrift lediglich ein Berufsverbot. Die rechtliche Wirksamkeit der vorgenommenen Prozesshandlungen soll dadurch nicht berührt sein. Dagegen spricht aber eventuell ein Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit: Wenn die Instanzanwälte vor dem BGH nicht postulationsfähig sein sollen, wäre es konsequent, § 172 BRAO umgekehrt so zu interpretieren, dass BGH-Anwälte ihrerseits auch nicht vor den Instanzgerichten Prozesshandlungen vornehmen dürfen. Aber lässt sich aus dem Gesichtspunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit ein solcher Schluss ziehen?

Die Frage – nur Berufsverbot oder darüber hinaus auch Beschränkung der Postulationsfähigkeit – ist offen. Allerdings ist kaum damit zu rechnen, dass hierüber kurzfristig entschieden wird. Ebenso wie Instanzanwälte (von betrüblichen Ausnahmen Unbelehrbarer abgesehen) keine Nichtzulassungsbeschwerden, Revisionen oder Rechtsbeschwerden beim Bundesgerichtshof einreichen, werden BGH-Anwälte kaum vor den Instanzgerichten auftreten.

Zwei Rechtsanwälte beim BGH haben eine Flasche Rotwein gewettet: Der eine setzt auf § 172 BRAO nur als Berufsverbot, der andere darüber hinaus auf Beschränkung der Postulationsfähigkeit. Es ist einzuräumen, dass die Frage – mag sie auch spannend sein – nicht von großer praktischer Relevanz ist. Mit einer Entscheidung und damit einer Klärung des Ausgangs der Wette ist in naher Zukunft nicht zu rechnen. Die beiden wettenden Kollegen haben sich deshalb – ungeachtet der Unvollkommenheit der Verbindlichkeit nach § 762 BGB – auf ein Patt geeinigt. Sie werden zwei Flaschen Rotwein gemeinsam leeren.

RA beim BGH Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe