ZAP Sonderheft für Dr. Egon Schneider zum 75.Geburtstag, 2002, Seite 52 Irrationales Recht Von Dr. Ekkehart Reinelt VorbemerkungDer Deutsche hat seit jeher einen begreiflichen Hang zum Irrationalen und Mystischen. Das beginnt bereits mit den germanischen Sagen, setzt sich fort in den Schriften des Meister Eckhart, der Gralsuche des Parzifal, der (in großen Teilen nur scheinbar rationalen, in Wirklichkeit weitgehend spekulativen) deutschen idealistischen Philosophie und der romantischen Suche nach der blauen Blume. Der menschliche Verstand ist auf Expansion angelegt, der Mensch lebt von dem Antrieb, die Grenze seiner Endlichkeit zu erweitern (BRUMMER chrismon 1/2002, S. 20) und dabei auch Grenzen des Rationalen zu überschreiten. Irrationales und Mystisches haben auch durchaus ihre Berechtigung bei den Versuchen, sich dem Transzendenten anzunähern, das mit rationalen Methoden nicht faßbar ist. Die Gegenstände der realen Welt, dazu gehören auch geistige, nicht körperliche Realitäten wie das Recht, können und müssen aber mit der ratio erfaßt und mit rational nachvollziehbaren und begründbaren Methoden vermittelt und angewandt werden. Daran ändert die Tatsache nichts, daß es im Recht selbstverständlich auch Wertentscheidungen gibt, die auf Grundprinzipien zurückgehen. Diese mögen ihrerseits unmittelbar einsichtig und nicht stets rational begründbar sein. Rechtsnormen und Gesetze, die auf solchen Grundprinzipien oder Wertentscheidungen beruhen, können und müssen vom Rechtsanwender jedoch rational erkannt und in der Rechtsanwendung umgesetzt werden. Es ist nicht zu verkennen: Das deutsche Zivilrecht unterliegt einer zunehmenden Irrationalisierung. Beiträge hierzu liefern Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wo Menschen zu Werke gehen, werden auch Fehler gemacht. Irren ist menschlich. Fehler muß man deshalb nicht nur dem Gesetzgeber, sondern insbesondere auch Richtern konzedieren. Es gibt aber Fehler, deren Ursachen auf grundlegend falsche Weichenstellungen zurückzuführen sind. Die Überflutung mit Generalklauseln und unbestimmten Formulierungen bedingt eine Erweiterung der Befugnisse des Richters bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen. Diese Erweiterung der richterlichen Befugnisse und die Aufgabe rational nachvollziehbarer Methodik sind Ursachen für Fehlentwicklungen, die die irrationalen Elemente im Recht und in der Rechtsanwendung verstärken. ERNST WOLF spricht gar in diesem Zusammenhang von einer "Krise des Rechtsstaats" (Marburg 1995, Hrsg. LÜKE). l. Der Wandel der GeneralklauselnEs hat im Recht schon seit eh und je Generalklauseln gegeben, also unbestimmte oder nur sehr schwer bestimmbare Formulierungen, die als Korrekturmechanismen für die Anwendung von Rechtsvorschriften begriffen worden sind. Die Rechtsordnung kommt nicht gänzlich ohne Generalklauseln aus. Aber: Während sie in den frühen Jahrzehnten seit In-Kraft-Treten des BGB bei der Rechtsanwendung im Zivilrecht nur eine Korrekturfunktion gehabt haben (Korrektur als ungerecht empfundener deduktiv gewonnener Ergebnisse bei Gesetzesanwendung), haben sie im Zuge der von RUDOLF VON IHERING (Kampf ums Recht 1890) und PHILIPP HECK (Gesetzauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914) begründeten Interessenjurisprudenz eine immer zentralere Bedeutung erhalten. Rechtsprechung und Lehre haben aus § 242 BGB beispielsweise einen angeblich das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz entnommen, der alle übrigen zivilrechtlichen Vorschriften gewissermaßen überstrahlen soll (BGHZ 85, 48). Diese Verkehrung der Bedeutung von Generalklauseln von einer korrigierenden Randfunktion in eine Funktion der generellen Aushebelung rechtlicher Vorschriften hat dem Vordringen des Irrationalen im Recht den Weg geebnet. Gesetzgebung und richterliche Rechtsanwendung sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend dazu übergegangen, statt inhaltlich definierter oder definierbarer Begriffe, die Voraussetzung und Bedingung eines jeden rationalen Erkennens und Schließens sind, durch generalklauselartige Formulierungen die Möglichkeit zu eröffnen, jede beliebige vom Ergebnis her als richtig empfundene Entscheidung mit scheinrationalen Argumenten zu rechtfertigen. Diese Irrationalisierung des Rechts ist eine Fehlentwicklung. Irrationales Recht ist kein richtiges Recht. ll. Verlust der RechtssicherheitVom Rechtsanwender hängt ab, ob ein Fall zutreffend entschieden wird, ob also "richtiges Recht° gefunden wird (EGON SCHNEIDER, "Logik für Juristen", S. Aufl., S. 1). Was aber ist "richtiges Recht"? Bei der Beantwortung dieser Frage, sind Autoren schon vor hundert Jahren und auch später kaum über Tautologien hinaus gekommen (STAMMLER, Die Lehre vom richtigen Recht, 1902, 2. Aufl. 1926, S. 26: "Richtiges Recht ist Recht, dessen Willensinhalt die Eigenschaft der Richtigkeit besitzt."; LARENZ, Richtiges Recht, 1979, S. 174: "Prinzipien richtigen Rechts aber beanspruchen als solche eine Geltung anderer Art; sie gelten nicht kraft Setzung, Autorität eines Gesetzgebers oder allgemeiner Rechtsüberzeugung, sondern kraft ihrer Richtigkeit."). Auch LARENZ verfängt sich also in der Tautologie: richtiges Recht ist dann anzunehmen, wenn es um Verwirklichung der Prinzipien richtigen Rechts geht. Bei allen unterschiedlichen Versuchen, sich richtigem Recht zu nähern, ist man sich in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aber offenbar einig, daß zum richtigen Recht bestimmte unabänderliche Rechtsprinzipien oder Grundsätze gehören, unter denen die Rechtssicherheit eine herausragende Stellung einnimmt. Rechtssicherheit bedeutet: Vorausberechenbarkeit von Rechtsfolgen bei korrekter Anwendung rechtlicher Normen. Die Vorausberechenbarkeit ist nur gewährleistet bei Verwendung klar definierter Begriffe und rational nachvollziehbarer Schlußfolgerungen. Die genannten Tendenzen einer Irrationalisierung in der Rechtsentwicklung stellen das grundlegende Prinzip der Rechtssicherheit zunehmend in Frage. Gesetzgebung und Rechtsprechung liefern vermehrt Beispiele dafür, wie an Stelle rational nachvollziehbarer Argumentationen, die zu einem bestimmten Ergebnis führen, beliebige Ergebnisse in der Rechtsanwendung ermöglicht werden, weil entweder eingeführte gesetzliche Regelungen unbestimmte und undefinierbare Inhalte haben oder ggf. auch eindeutige Regelungen von der Rechtsprechung ignoriert werden. Diese Entwicklung hat sich mit dem AGB-Gesetz verstärkt und in zahlreichen späteren gesetzlichen Regelungen und richterlichen Entscheidungen fortgesetzt. Die Einführung des AGB-Gesetzes im Jahre 1974 und dessen zunehmend ausufernde Interpretation der Rechtsprechung in den folgenden Jahrzehnten hat in weiten Teilen der Kautelarjurisprudenz jegliche Rechtssicherheit und Vorausberechenbarkeit beseitigt. Als Anwalt ist man heute so gut wie nicht mehr in der Lage, Vertragstexte mit annähernder Sicherheit auf rechtlichen Bestand zu verfassen, was die Rechtsprechung nicht daran hindert, den Anwalt in eine überspannte, geradezu erfolgsbezogene Garantiehaftung zu nehmen (vgl. REINELT, Anwaltsfeindliche Tendenzen in der Rechtsprechung, ZAP Fach 23, S. 491 ff.). Der zentrale Mechanismus, der diesen Verlust der Rechtssicherheit auslöst, ist § 9 AGB-Gesetz in der Interpretation durch die Rechtsprechung und dessen Nachfolgeregelung § 307 BGB n. F. (vgl. etwa BGH NJW 1984, 1182, 1184; BGH NJW 1986, 179). Die Vorschrift des § 9 AGB-Gesetz und die Neuregelung - wohltönende, inhaltsleere Blankettnormen - sind Instrumente zur übermäßigen Beschränkung der Kautelarjurisprudenz und zur beliebigen Manipulation von Vertragsinhalten durch die Gerichte. Unter dem eindrucksvoll klingenden Schlagwort des "Schutzgedankens" (also des Schutzes des vermeintlich gerade im Augenblick vom Richter für den Schwächeren Gehaltenen) greift der Richter nicht nur kontrollierend (und angeblich unwirksame Bestimmungen eliminierend), sondern manipulativ gestaltend in die Vertragsinhalte ein. Er bestimmt, ob der Vertrag überhaupt wirksam ist, in welchen Teilen und mit welchem Inhalt er gilt, dies alles an Stelle der mündigen Vertragspartner, deren Vertragsfreiheit weitgehend nur noch Illusion ist. Dabei kommt es auch immer wieder vor, daß Regelungen, die jahre- oder jahrzehntelang als wirksam angesehen werden, nunmehr nach neuer Erkenntnis von der Rechtsprechung plötzlich als unwirksam angesehen werden und daher auch ein Vertrauen in den Fortbestand einer gefestigten Rechtsprechung keine Grundlage mehr hat. Beispiele hierfür liefert die Rechtsprechung zu hauf: Die Aushebelung sämtlicher Treuhandtätigkeiten im Bauträger- und Immobilienfondsbereich - angeblicher Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz (BGH NJW 2001, 70; BGH NJW 2001, 3774; BGH BB 2001, 2497), die plötzliche Erkenntnis, es seien - entgegen bisheriger jahrzehntelanger Rechtspraxis - sämtliche Vollstreckungsunterwerfungserklärungen mit Nachweisverzicht in notariellen Urkunden unwirksam (BGH ZfIR 2001, 980; BGH BB 2002, 66), oder etwa die neuerdings vom BGH entdeckte Unmöglichkeit, sich als Vermieter von der Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit bei Beschädigung von Gegenständen des Mieters, verursacht durch Mängel der Mietsache, freizuzeichnen, dies abweichend vom Wortlaut des Gesetzes (§ 11 Ziff. 7 b AGBG a. F. bzw. § 309 Ziff. 7 b BGB n. E: klauselartige Freizeichnung von der Haftung nur bei grober Fahrlässigkeit unwirksam) und von einer jahrzehntelangen gegenteiligen Judikatur (BGH, Beschluß vom 24.10.2001-VIII AZR 1/01, BGH Report 2002, 145; a. A. OLG Stuttgart NJW 1984, 2226). Die zuletzt genannte Entscheidung des BGH zeigt im übrigen auch, daß die Detailvorschriften der §§ 10 und 11 AGB-Gesetz bzw. die entsprechenden Regelungen in der Neufassung der Vorschriften der §§ 308 und 309 BGB völlig überflüssig sind, weil die dort geregelten Klauselverbote durch extensive Interpretation der Generalklausel § 9 AGB-Gesetz bzw. § 307 BGB n. F. jederzeit überrollt werden. Was also beispielsweise nach § 308 oder § 309 BGB eigentlich wirksam sein müßte, wird gleichwohl - so z. B. die zitierte Entscheidung des BGH, BGH-Report 2002, 145 - über die Generalklausel des § 307 BGB ausgehebelt. Wozu dann also noch Einzelregelungen? Warum nicht nur ein allgemeiner Tatbestand mit dem Inhalt: "Der Richter wertet im Einzelfall'? Inzwischen gibt es aus den verschiedensten Rechtsgebieten immer umfangreicher werdende Schriften über nach dem AGB-Gesetz (und nunmehr nach § 307 ff. BGB) angeblich unwirksame Klauseln. Das Werk" Unwirksame Bauvertragsklauseln" der Autoren GLATZEL/HOFMANN/FRIKELL z. B. wächst von Auflage zu Auflage. Wollte man demgegenüber ein Werk über wirksame Bauvertragsklauseln verfassen, würde dies vermutlich inzwischen einen verschwindend geringen Umfang haben. Entsprechendes gilt natürlich für alle anderen Rechtsgebiete, in denen Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden. Die ausufernde Judikatur zur Unwirksamkeit aller möglichen Klauseln im Mietrecht beispielsweise hat jede Rechtssicherheit beseitigt. Nachvollziehbare Begründungen für unwirksame Klauseln sucht man vergebens (beispielsweise erklärt der BGH die folgende Klausel für unwirksam: "Der Mieter ist verpflichtet, Installationsgegenstände, Wasserhähne etc. (wird im einzelnen ausgeführt) in gebrauchsfähigem Zustand zu erhalten, soweit die Kosten für einzelnen Reparaturen DM 150,00 und der dem Mieter dadurch entstehende jährliche Aufwand 6 % der Jahresbruttomiete nicht übersteigt." (vgl. BGH WM 1991, 388; LG München I WM 1993, 543, eine Entscheidung, die schlechterdings unter keinem Gesichtspunkt mehr aus irgendeiner gesetzlichen Norm herzuleiten oder überhaupt nachvollziehbar ist). Ich meine: Eine solche dem amerikanischen "case law" vergleichbare Entwicklung einer immer größeren Detailbesessenheit verbunden mit der Aufgabe dogmatischer Strukturen, entspricht nicht dem System des BGB und des Zivilrechts und tut der Rechtsentwicklung nicht gut. III. Inhaltliche Unklarheit gesetzlicher BestimmungenOft ist in der Rechtsprechung nicht festzustellen, in welchen Fällen bzw. mit welchem Inhalt eine Norm gelten soll. Wann z. B. § 9 AGB-Gesetz überhaupt Anwendung findet und welchen Inhalt diese Vorschrift genau hat (entsprechendes gilt für § 307 BGB n. F.), ist kaum auszumachen und für einen Berater noch nicht einmal anhand einer Überfülle von Präjudizien annäherungsweise abzuschätzen. Die Rechtsprechung zu § 9 AGB-Gesetz, nunmehr § 307 BGB, knüpft daran an, daß Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Bestimmungen, die nicht unangemessen, sondern angemessen und nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben, sondern in Übereinstimmung mit diesen benachteiligen, wären demnach nicht unwirksam, also wirksam (vgl. ERNST WOLF, Die Krise des Rechtsstaats, Marburg 1995, S. 71). Ganz offenbar will die Rechtsprechung diese Konsequenz aber nicht ziehen. Bei der Abgrenzung der Frage, wann eine Klausel überhaupt an der zitierten Vorschrift zu messen ist oder wann eine Individualvereinbarung vorliegt, hat derjenige, der die Vereinbarung verwendet, darzulegen und zu beweisen, daß die Klausel "ernsthaft zur Disposition gestellt wurde" (BGH BB 1992, 1813; BB 1992, 169; BB 1992, 226; BHG NJW 1998, 2601). Trotz einer nahezu unübersehbaren Judikatur zur Frage, wann denn nun ausgehandelt wurde und wann nicht, sind hierfür keine greifbaren Kriterien mehr auszumachen (vgl. beispielsweise zur Zusammenstellung der entsprechenden Judikatur HARZ, in: SCHMID, Miete und Mietprozeß, 1998, Rn. 199 ff.). Ob jemand eine Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt hat oder nicht, kann kein Psychologe oder Psychiater beurteilen, geschweige denn ein Richter. Die Formulierung ist völlig inhaltsleer und ein Einfallstor für beliebige richterliche Willkür. Kein Mensch kann dieser Voraussetzung des "Ernsthaft-Zur-Disposition-Stellens" einen nachvollziehbaren Inhalt geben, auch nicht die Rechtsprechung. Wenn man sich überhaupt einen Sinn denken könnte, könnte es wohl nur derjenige sein, daß der Verwender ernsthaft so getan haben müßte, daß er ggf. auch von der Klausel abgehen würde, im Einzelfall davon aber nicht abgeht (vgl. REINELT, Anwaltsfeindliche Tendenzen in der Rechtsprechung, ZAP Fach 23, S. 491 - 499). Die Folge ist: Niemand kann zuverlässig vorausberechnen, ob es sich überhaupt um eine AGB-Klausel handelt oder nicht und ob demzufolge die Vorschrift des § 9 AGBG bzw. § 307 BGB Anwendung findet oder nicht. Man ist darauf angewiesen, zu mutmaßen und zu raten. Wenn man aber zu dem Ergebnis kommt, daß keine individuell ausgehandelte, sondern eine AGB-Klausel vorliegt, kennt man noch immer nicht das Ergebnis. Denn ungeachtet detailversessener Spezifizierungsversuche von Gerichten für die Anwendung des § 9 AGBG und seiner Nachfolgevorschrift in § 307 BGB n. F. ist es völlig unberechenbar, ob eine heute noch als wirksam angesehene Klausel morgen als unwirksam behandelt wird oder nicht. Die Rechtssprechung hat dazu mystische Formeln erfunden, wie beispielsweise den "Grundgedanken", das "Leitbild" oder die "Leitidee" des Gesetzes. An diesen soll gemessen werden, ob Klauseln sich mit gesetzlichen Vorschriften vertragen oder nicht. Grundgedanken hat ein Gesetz nicht, weil es nicht denken kann. Wessen Gedanken sind also gemeint? Man könnte sich vorstellen, daß die Rechtsprechung hiermit die Motive des Gesetzgebers und die Gesetzesbegründung ansprechen will. Aber: Die Motive des historischen Gesetzgebers sind nach der Vorstellung der Rechtsprechung offenbar etwas anderes als der "Grundgedanke". Dieser soll wohl etwas Zeitloses oder jedenfalls heute Geltendes verkörpern im Gegensatz zu den seinerzeitigen Motiven und Begründungen des Gesetzgebers. Der "Grundgedanke" (ebenso das "Leitbild" oder die "Leitidee") sind also nicht identisch mit dem Inhalt der Rechtsnorm oder deren Wortlaut und auch nicht mit dem, was der Gesetzgeber sich bei Abfassung des Gesetzes gedacht und in die Gesetzesbegründung hineingeschrieben hat. Der" Grundgedanke" scheint in der Art einer platonischen Idee über oder hinter der Norm zu schweben und ist, da nicht genau faßbar, auch nicht rational belegbar oder begründbar. Deswegen können aus dem Grundgedanken auch keine zwingenden Folgerungen gezogen werden. Vielmehr wird aus den Leerworten "Grundgedanken" und "Leitbild" und "Leitidee" das herausgeholt, was der Richter zuvor im Wege der sogenannten teleologischen Auslegung (telos = das Ziel, also einer zielgerichteten, voluntativen Auslegung) hineingeheimnißt hat. Das kann morgen etwas ganz anderes sein als heute oder gestern. Vorausberechenbar oder mit rationalen Argumenten definierbar sind "Grundgedanken", "Leitbilder" oder "Leitideen" und das, was man damit eigentlich will, nicht. Es scheint der Rechtsprechung vorzuschweben, daß "Grundgedanken", "Leitbild" und "Leitidee" die eigentliche Wirklichkeit verkörpern (wie die platonische Idee), die Norm demgegenüber als "Schatten" verblaßt und daher ihr Inhalt auch übergangen werden kann. Die Rechtssicherheit ist dahin. Das seit 1.1.2002 geltende "Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts", das vom Gesetzgeber im Schnellschußverfahren weite Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches umgekrempelt hat (bezeichnend: die Neufassung des BGB, die bereits ab 1.1.2002 in Kraft war, wurde erst am 8.1.2002 im Bundesgesetzblatt verkündet [BGBl. 2002 I, S. 42ff.]), leistet weitere Beiträge zur Beseitigung der Rationalität in der Rechtsanwendung. Das gleiche gilt für die Zivilprozeßreform (vgl. dazu EGON SCHNEIDER, ZAP-Kolumne 2/2002, S. 67). Die Schuldrechtsreform beschert uns u. a. die Vorschrift des § 275 Abs. 2 und 3 BGB n. F. Sie lautet:
Ähnlich unbestimmt ist die Neuregelung des § 306 BGB n. F. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift bleibt ein Vertrag grundsätzlich wirksam, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden sind oder unwirksam sind. Abs. 3 bestimmt jedoch:
Nicht anders geht es uns mit § 313 BGB n. F. (hier müssen wir uns alle an die neuen Bezifferungen gewöhnen, die Vorschrift hat nichts mehr mit der Beurkundungspflicht des Grundstückskaufvertrages zu tun, sondern regelt die Störung der Geschäftsgrundlage; diesen Umlernprozeß hat der Gesetzgeber noch nicht durchgemacht, der in § 925a BGB auch in der neuen Fassung immer noch auf § 313 S. 1 BGB - also die alte Regelung - verweist). Diese Vorschrift kodifiziert das, was zur Geschäftsgrundlage bisher bereits Inhalt der Rechtsprechung war, nämlich das Recht auf Anpassung des Vertrages bei veränderten oder falsch vorausgesetzten Umständen. § 313 BGB lautet:
Wenn man diese Vorschriften des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes untersucht, wird man feststellen, daß alle an verschiedene Zumutbarkeitsbeschreibungen anknüpfen. Was zumutbar ist oder nicht, hat der Richter zu entscheiden. Wenn etwas unzumutbar ist, bleibt aber völlig unklar, ob nun ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nach § 275 BGB eintritt, der Vertrag insgesamt wirksam oder unwirksam ist, im Falle seiner Wirksamkeit eine Anpassung erfolgen soll, wenn ja, mit welchem Inhalt, oder ob auch die Anpassung wieder (wann?) unzumutbar ist und demgemäß Abs. 3 des § 313 BGB n.F. ein Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht gewährt. Liegt hier nicht ein logischer Normwiderspruch (vgl. hierzu LARENZ, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 335) vor? Darüber kann man sicher streiten, weil Zumutbarkeit/Unzumutbarkeit einmal bezogen sind auf das Festhalten am unveränderten Vertrag (§ 313 Abs. 1 BGB), auf die Anpassung eines Vertrages (mit einem ggf. veränderten Inhalt, § 313 Abs. 3 BGB) bzw. auf die Erbringung der Leistung (§ 275 Abs. 3 BGB). Dennoch: klar ist das gerade nicht. Man darf gespannt sein, welche Konkretisierung die Rechtsprechung dermaßen unbestimmten Klauseln geben wird. Wie sollen die Klauseln, die völlig unterschiedliche Rechtsfolgen haben sollen, jedoch an das gleiche Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit anknüpfen, letztlich voneinander abgegrenzt werden? Es wird schwerfallen, rational nachvollziehbare Schlußfolgerungen aus solchen Texten zu ziehen. Wann ist ein Vertrag nun wirksam und wann ist er unwirksam? Wann kann der Schuldner nach § 275 Abs. 2 und 3 BGB die Leistung verweigern und wann nicht? Wann ist der Vertrag nach § 306 Abs. 3 BGB unwirksam (also die dortige unzumutbare Härte zu bejahen), wann ist er wirksam, wann hat gleichwohl eine Anpassung zu erfolgen, wann aber ist auch die Anpassung wieder unzumutbar mit der Folge, daß ein Recht zum Rücktrittsrecht oder zur Kündigung ausgelöst wird? Kein Mensch wird das - zuverlässig - beantworten können. Auch hilft die Gesetzesbegründung nicht im geringsten weiter. Wohlweislich wurden bei § 313 Abs. 2 BGB n. F. noch nicht einmal Regelbeispiele für die dort gemeinten Fallgruppen angeführt. Die Gesetzesbegründung läßt uns ebenso im Stich wie die rechtsunsicheren Gesetzesformulierungen selbst. Ähnlich unklar ist die Regelung für den Umfang des Ersatzes vergeblicher Aufwendungen. Diese kann der Gläubiger nur verlangen, wenn er sie "billigerweise machen durfte" (§ 284 BGB n. F.). Auch diese Vorschrift ist nicht gerade ein Vorbild an Transparenz und Klarheit, wenn auch die Verwendung nicht definierbarer Formeln im Zusammenhang mit dem Umfang eines Schadensersatzes vielleicht weniger Schaden anrichten kann als in der Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Vertrag insgesamt zustande gekommen ist und Bestand hat. Was man aus Vorschriften solcher Art alles herausholen kann, belegt eine neuere Auseinandersetzung mit Vorschriften des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. GRZIWOTZ (ZfIR 2001, 1033, 1038) folgert aus § 306 Abs. 2 BGB, daß die salvatorische Klausel (deren Inhalt darin besteht, einen teilweise unwirksamen Vertrag im Zweifel entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB aufrecht zu erhalten und die nichts mit dem Verbot geltungserhaltender Reduktion einer AGB- Klausel zu tun hat) als Verstoß gegen diese Vorschriften unwirksam sei. Das korrespondiert mit der Rechtsprechung, die salvatorische Klauseln im AGB-Bereich mit ebenfalls kaum nachvollziehbaren Begründungen für unwirksam hält (vgl. beispielsweise OLG Celle WM 1994, 393; GLATZEL/ HOFMANN/FRIKELL, Unwirksame Bauvertragsklauseln, S. 90 ff). Warum eigentlich? § 139 BGB enthält eine Auslegungsregel. Ein teilnichtiger Vertrag ist im Zweifel insgesamt unwirksam. Das läßt also gerade die Regelung des Gegenteils durch vertragliche Abrede zu. Es müßte also ohne weiteres möglich sein, mit einer salvatorischen Klausel die von § 139 BGB abweichende Aufrechterhaltung des Vertrags zu vereinbaren. Auch hier wieder ein Beispiel dafür, daß aus unklaren Regelungen des Gesetzgebers (hier § 306 Abs. 2 BGB) unter gleichzeitiger Berufung auf das Allheilmittel des AGB-Gesetzes das Eine und das kontradiktorisch Gegenteilige herausgelesen wird. Eine Anhäufung amorpher, sog. unbestimmter Rechtsbegriffe ("nicht zumutbar", §§ 142, 144 ZPO; "gewichtige Gründe", § 149 Abs. 1 ZPO; "konkrete Anhaltspunkte", §§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO etc.) durch die ZPO-Reform - vom Gesetzgeber angepriesen als bürgernah, effizient und transparent - setzt das Chaos der Unbestimmtheit von Generalklauseln und nicht definierbaren Leerformeln im Verfahrensrecht fort (vgl. im einzelnen EGON SCHNEIDER, ZAP-Kolumne 2/2002, S. 67). Aber auch auf klar formulierte gesetzliche Bestimmungen kann man sich - folgt man der Rechtsprechung - nicht mehr verlassen. Der Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung wird oft ignoriert. Ein Beispiel dafür ist die Rechtsprechung zu § 648 a BGB. Das ist eine Regelung, die durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.3.2000 (das in Wirklichkeit mit einem verfehlten § 284 Abs. 3 BGB a. F. "abweichend von..." zum Teil zur Verzögerung von Zahlungen geführt hat!) eingeführt worden ist. § 648a BGB soll bestimmte Vergütungsansprüche des Unternehmers sicherstellen. Dem Unternehmer wird ein Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt, wenn in bestimmten gesetzlich definierten Fällen der Besteller eine Sicherheit nicht leistet. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig: Danach kann der Unternehmer eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils vom Besteller Sicherheit für die "von ihm zu erbringenden Vorleistungen" verlangen. Zu erbringende Vorleistungen zum Zeitpunkt des nach dieser Vorschrift möglichen Verlangens sind das kontradiktorische Gegenteil von bereits zu diesem Zeitpunkt erbrachten Vorleistungen. Das hindert die ganz herrschende Meinung nicht daran, die Auffassung zu vertreten, daß zu erbringende Vorleistungen identisch seien mit bereits erbrachten Vorleistungen, daß also ein Sicherheitsverlangen nach § 648 a BGB sich auch auf schon erbrachte Leistungen beziehen kann (statt vieler: BGH NJW 2001, 822, 824, h.M.; dagegen REINELT BauR 1997, 766). Unabhängig davon, ob es vielleicht rechtspolitische Gründe geben mag, ein solches Sicherheitsverlangen auch auf schon erbrachte, aber noch nicht bezahlte Vorleistungen zu beziehen: Die Rechtsprechung scheut sich nicht, kurzerhand den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes beiseite zu schieben, vom kontradiktorischen Gegenteil des Wortlauts auszugehen und einfach zu behaupten, daß A = non A sei (also zu erbringende Vorleistungen identisch seien mit schon erbrachten Vorleistungen). Das Beispiel (das durch viele andere ergänzt werden könnte) belegt: Keiner kann sich darauf einstellen, daß die Rechtsprechung sich an den Wortlaut eines Gesetzes hält. Die voluntative Entscheidung des Richters wird kurzerhand unter Verstoß gegen Art. 20 GG an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung gesetzt. Es liegt also auf der Hand: Gesetzgebung und Rechtsprechung überbieten sich in weiten Bereichen mit Beiträgen zur Vernichtung der Rechtssicherheit und zur Irrationalisierung des Rechts. IV Verlust methodischen DenkensLogik verbürgt nicht die Wahrheit von Erkenntnissen. Sie garantiert aber die Folgerichtigkeit von Schlußfolgerungen. Sie ist daher die einzig zuverlässige Methode richtigen Denkens (EGON SCHNEIDER, Logik für Juristen, 5. Aufl. 1999, S. 13). Ohne Beachtung der Regeln der Logik sind rechtswissenschaftliches Denken und zutreffende Rechtsanwendung nicht möglich. Dennoch wird jeder, der mit logischen Gründen argumentiert, gern der Haarspalterei bezichtigt. Leider halten Rechtsprechung und Literatur in Hülle und Fülle Beispiele für alogisches und unpräzises Denken parat. Ich erinnere nur an den jahrzehntelang geführten Streit, ob im Falle einer ungewollten Schwangerschaft durch einen Schädiger (Verabreichung unwirksamer Anti-Baby-Pille, erfolgsloser Schwangerschaftsabbruch etc.) Schadensersatz für die Unterhaltskosten eines ungewollten Kindes zu zahlen ist. Die Frage dürfte inzwischen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, nämlich durch den BGH und den 1. Zivilsenat des BVerfG im richtigen Sinne geklärt sein (BGHZ 124, 128, 136; BVerfG 1. Senat NJW 1998, 518): Schadensersatzansprüche auf Ersatz der Unterhaltskosten sind möglich. Aber der 2. Senat des BVerfG behauptet (obiter dictum) immer noch (NJW 1993, 1751) : "Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle" komme von Verfassungs wegen nicht in Betracht." Diese Argumentation des 2. Senats und eine jahrelange Diskussion in Rechtsprechung und Literatur, die sich auf die zentrale These gestützt hat, ein Kind könne kein Schaden sein, also könne es keine Schadensersatzansprüche geben (hiergegen bereits REINELT FamRZ 1970, 572, 573), beruht auf unpräziser und logisch nicht haltbarer Argumentation (gefördert durch schwammige Bildersprache). Der beharrliche Denkfehler im Zusammenhang mit der Diskussion um "das Kind als Schaden" ist offenbar nicht auszurotten. Das Kind ist kein Schaden (auch keine Schadensquelle) und kein Vorteil. Es ist als ein mit Anlage zur Entscheidungsfähigkeit ausgestattetes Wesen ein Mensch, der nur von menschenverachtenden Ideologien als Objekt und damit als Schaden oder Vorteil begriffen wird. Der Schaden - auch nach der zutreffenden Ansicht des 1. Senats des BVerfG - ist ausschließlich die Belastung mit einer Unterhaltspflicht. Freilich entstehen Unterhaltsverpflichtungen erst durch die Geburt des Kindes. Dennoch sind Geburt und Belastung mit Verpflichtung voneinander unabhängige "Erfolge" und die Existenz des Kindes nur eine tatbestandsmäßige Bedingung für das Entstehen von Unterhaltslasten nach §§ 1601 ff. BGB, ebenso wie etwa die Tötung eines Unterhaltsverpflichteten Tatbestandsmerkmal der Ersatzpflicht nach § 844 BGB ist. Ob eine einzelne Veränderung ein Schaden ist, kann nicht anhand aller Bedingungen einer Veränderung, sondern nur anhand der Untersuchung des konkreten einzelnen Erfolges - hier Belastung mit der Unterhaltspflicht - selbst festgestellt werden. Die Belastung mit Verbindlichkeiten ist unzweifelhaft ein Schaden. Die fehlerhafte Argumentation geht zurück auf die schlichte Verwechslung von Unterhaltsverpflichtungen in Form der Belastung mit Verbindlichkeiten mit der Geburt des Kindes selbst (fehlerhaftes Schließen in Form der mutatio elenchi, vgl. EGON SCHNEIDER, Logik für Juristen, 5. Aufl. 1999, S. 214). Es finden sich natürlich auch anders geartete methodische Fehler in Argumentationen und Schlußfolgerungen: Ebenso häufig sind untaugliche Begründungen in Form von Zirkelschlüssen. Ein Beispiel aus der neueren Rechtsprechung führt der BGH vor mit einem Urteil zur Anwendung des Rechtsberatungsgesetzes (BGH NJW 2001, 3774). Mit dieser Entscheidung geht das oberste Zivilgericht in Abweichung von der jahrelang geltenden gegenteiligen Rechtspraxis davon aus, daß ein Treuhandvertrag, der den Treuhänder nicht primär zur Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange des Treugebers verpflichtet, sondern ihm Befugnisse zur Vornahme und Änderung von Rechtsgeschäften im Zusammenhang mit dem Beitritt eines Treugebers zum geschlossenen Immobilienfonds einräumt, wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz (§ 1 Abs. 1 RBerG) unwirksam sei (im übrigen sogar dann, wenn der vom Treuhänder abzuschließende Vertrag in den zum Beitritt zum Immobilienfonds führenden Verträgen wörtlich vorgegeben ist). Sinngemäß das gleiche gilt für den Bauträgervertrag (BGH BB 2001, 2497 und NJW 2001, 70). Natürlich ist es das gute Recht der Rechtsprechung, auch einmal ihre Auffassung zu ändern, wenn auch der berühmte Satz von ADENAUER: "Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern" nicht unbedingt zur zentralen Maxime der Rechtsprechung gemacht werden sollte. Aber interessant am überraschenden Sinneswandel ist die zentrale Begründung des BGH. Sie lautet wie folgt:
Und wann muß sie verboten werden? Wenn die Richter das für richtig halten! Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz liegt also vor, wenn die Richter der Meinung sind, daß ein Verstoß vorliegt. Mit anderen Worten: Es ist so, weil wir sagen, daß es so ist. Das ersetzt die rationale Argumentation. Ein klassischer Zirkelschluß, der niemandem so leicht unterläuft, wenn er EGON SCHNEIDERS "Logik für Juristen" studiert und begriffen hat. Ein weiteres Beispiel logisch fehlerhafter Argumentation, diesmal in Form der Begriffsvertauschung (quaternio terminorum) findet sich in einem Fall, den eine Amtsrichterin in München zu entscheiden hatte und den EGON SCHNEIDER unter der Überschrift "Entlastung durch Aussetzung" behandelt (Justizspiegel, 2. Aufl., S. 35 ff.):
Ob es sich hier wirklich um einen Fall von gezielter "Entlastung" durch Rechtsbeugung handelt (wie EGON SCHNEIDER meint), bezweifle ich. Wahrscheinlich hat die Richterin einfach ihren Denkfehler nicht erkannt. Der Subsumtionsschluß vollzog sich nämlich wie folgt: Obersatz: Nach § 148 ZPO kann das Gericht aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Untersatz: In einem Rechtsstreit um Zuweisung der Ehewohnung (§ 5 HausRVO) wird der Bestand des Mietverhältnisses richterlich gestaltet. Das Mietverhältnis ist ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 148 ZPO. Die Entscheidung über dieses Rechtsverhältnis ist demgemäß für die Frage des Bestands von Ansprüchen aus dem Mietverhältnis maßgebend. Schlußsatz: Also kann ausgesetzt werden. Der erste Fehler entsteht bei der Subsumtion unter den Obersatz. Ein anhängiger Rechtsstreit ist nicht dasselbe wie ein Rechtsstreit, der erst in Zukunft anhängig wird. Der zweite entscheidende Fehler liegt in der Begriffsvertauschung: Das durch Mietvertrag begründete Rechtsverhältnis ist ein Dauerschuldverhältnis. Es kann zu bestimmten Zeiten bestehen, zu anderen nicht. Für die Ansprüche aus dem Mietverhältnis, die streitgegenständlich waren, kommt es nur auf den Bestand des Mietverhältnisses bis zur Entstehung dieser Ansprüche an. In dem bevorstehenden Zuweisungsverfahren der Ehewohnung wird über den Bestand des Mietverhältnisses als Dauerschuldverhältnis für den Zeitraum ab dortiger richterlicher Entscheidung gestaltend entschieden (wenn dieses Verfahren einmal anhängig gemacht wird). Die Mehrfachbedeutung des Begriffs "Bestand des Mietverhältnisses" (im Zeitraum "X" im Gegensatz zum Zeitraum "Y") wurde begriffsvertauschend verkannt (quaternio tenninorum). Die Beispiele belegen: Inhaltlich nicht bestimmbare gesetzliche Normen und/oder logische Fehler in den Argumentationen führen immer wieder zu falschen Entscheidungen. Es liegt bei der Anwendung gesetzlich unklarer Regelungen oder bei der Verwendung unmethodischer Argumentationen in der freien und beliebigen Entscheidung des Richters, zu welchem Ergebnis er kommt. Unklare Bestimmungen (wie beispielsweise die zitierten Neufassungen von § 275 Abs. 2 und 3, § 306 Abs. 3, § 313 Abs. 3 BGB) können mit jedem beliebigen Inhalt interpretiert werden. Man legt mit Zauberworten wie "Grundgedanken" oder "Leitbild" das hinein, was man wieder herauslesen möchte und bezeichnet das als teleologische Methode der Auslegung. Im Ergebnis kann der Richter entscheiden, wie es ihm paßt. Vorausberechenbare Kriterien für diese beliebige Entscheidung sind solchen Blankettnormen nicht zu entnehmen. Der Richter kann also hier seine eigenen Wertentscheidungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers der sog. Rechtsanwendung zugrunde legen und diese Ergebnisse ggf. mit Zirkelschlüssen begründen, wie dies z. B. im zitierten Falle der Entscheidung des BGH im Zusammenhang mit dem Rechtsberatungsgesetz geschehen ist. Daß jeder Richter gern nach seinen eigenen Vorlieben und Erfahrungen anders judizieren wird, wenn dazu Möglichkeit geboten wird, liegt auf der Hand und wird durch Erfahrungen aus der Praxis immer wieder bestätigt. Nur ein Beispiel: V Argumentationen mit gleichnishaften Leerformeln Um die Schwächen der sachlichen Argumentationen und Fehler in den logischen Schlüssen zu verdecken, verwendet die Rechtsprechung gerne gleichnishafte Schlagworte oder Zauberformeln, die gewissermaßen als argumentum ex auctoritate unwidersprochen in den Raum geworfen werden. Wenn es z. B. um Haftungsbegrenzungsvereinbarungen, insbesondere bei Anwälten, geht, ist die Rechtsprechung durchaus erfinderisch in der Entwicklung von Methoden, solche Haftungsbegrenzungsvereinbarungen für unwirksam zu erklären. Man ersinnt dann eindrucksvolle Leerformeln wie beispielsweise diejenigen der "Kardinalpflichten" (vgl. BGHZ 89, 367, 9348; NJW 1993, 335; NJW RR 1993, 561). Die Abbedingung von "Kardinalpflichten" - der Begriff scheint dem katholischen Kirchenleben entnommen zu sein - ist bei Haftungsbegrenzungsvereinbarungen nach der Rechtsprechung (auch für Haftungsausschlüsse bei leichter Fahrlässigkeit) unwirksam. Was Kardinalpflichten sind, ist nicht definiert. Jedenfalls sind es offenbar nicht die im Synallagma stehenden Hauptleistungspflichten, sondern bestimmte Sekundärpflichten. Die Ehrerbietung heischende Formulierungsweise (ein Kardinal ist ja schließlich etwas!) soll hier (wie in anderen Fällen etwa auch z. B. die bereits erwähnten Formeln wie "Grundgedanken" und "Leitbild") inhaltsleeren Argumentationen besonderes Gewicht verleihen. Kardinalpflichten sind im Ergebnis solche Pflichten, die der Richter im Einzelfall für Kardinalpflichten hält. Nur kein Widerspruch gegen die hehren Worte aus der katholischen Kirche! Der Richter entscheidet nach Willkür und Belieben ex cathedra, wann eine Abbedingung möglich ist und wann nicht. Die VOB/B enthält baurechtliche Regelungen, die keine Rechtsnormen oder Rechtsvorschriften darstellen, sich aber in der baulichen Praxis als Bestandteil vertraglicher Vereinbarungen seit Jahrzehnten außerordentlich bewährt haben. Die einzelnen 18 Paragraphen der VOB/B können entweder insgesamt oder aber auch mit Veränderungen ganz oder teilweise in baurechtlichen Verträgen vereinbart werden. In der Praxis geschieht dies regelmäßig bis häufig. Grundsätzlich müssen Vorschriften, die - wie die VOB - keine rechtlichen Regelungen darstellen, uneingeschränkt an den Vorschriften des AGB-Gesetzes bzw. jetzt der neuen Vorschriften der §§ 307 ff. BGB n. F. gemessen werden. Die Klauselkontrolle ist jedoch wesentlich stärker beschränkt, wenn die VOB/B insgesamt Vertragsgrundlage ist (§ 308 Ziff. 5 b BGB n. F.). Nun enthält in der Praxis aber fast jeder Bauvertrag gewisse Modifikationen der VOB/B-Regelungen. Wann also sollten in der baurechtlichen Praxis die (nur durch Vereinbarung geltenden) VOB/B-Regelungen einer Kontrolle des AGB-Gesetzes bzw. jetzt der §§ 307 ff. BGB n. F. entzogen sein? Dazu sagt die Rechtsprechung: Es kommt darauf an, ob durch die vertragliche Gestaltung ein Eingriff in den "Kerngehalt" der VOB vorliegt oder nicht (vgl. z. B. BGH NJW 1983, 816). Liegt ein Eingriff in den "Kerngehalt" vor, muß jede einzelne Klausel der VOB an den Vorschriften des AGB-Gesetzes bzw. der §§ 307 ff. BGB n. F. gemessen werden. Ist der Eingriff nicht als Eingriff in den "Kerngehalt" anzusehen, dann gilt die Privilegierung, daß eine Überprüfung der einzelnen Klausel nicht notwendig ist. Was der "Kerngehalt" einer Sammlung von insgesamt 18 Regelungen der VOB Teil B (§ 1- 18) sein soll, wird nicht definiert, sondern nach Willkür von Fall zu Fall von den Gerichten entschieden. Die VOB ist kein Apfel und hat deshalb auch keinen Kern oder "Kerngehalt" und keinen außerhalb des Kerns existierenden Gehalt, sondern Texte in 18 Paragraphen. Auch hier gilt, was oben schon gesagt wurde: Die blumige gleichnishafte Sprache, wie sie zunehmend verwendet wird, verdeckt die Tatsache, daß eine Definition (was gehört zum Kern und was nicht, was ist Kardinalpflicht, was Grundgedanke und Leitbild und was nicht) nicht möglich ist. An Stelle rational begründbarer und nachvollziehbarer Argumentationen tritt die beliebige Wertung des Richters, die dieser je nach Prävalenz und subjektiver Erfahrung trifft ("Vorverständnis" - vgl. JOSEF ESSER, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970 - oder Vorurteil?). Ein Richter, der gerade eine mängelbehaftete Eigentumswohnung gekauft hat, wird anders entscheiden als einer, dessen Verwandte oder Freunde einen Baubetrieb führen und regelmäßig über die schlechte Zahlungsmoral der Bauherren klagen. Vl. Die Bindung an Recht und GesetzDie Beispiele ließen sich zahlreich vermehren. Sie belegen: Es gibt Tendenzen, die richterlichen Entscheidungen durch unklare gesetzgeberische Vorgaben zunehmend auf den einzelnen Richter und seine nicht nachvollziehbaren oder kontrollierbaren Wertentscheidungen zu verlagern. Es gibt irrationale Tendenzen im Recht. Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz nach Art. 20 GG ist von der Rechtsprechung unter der Ägide des Bundesverfassungsgerichts schon seit Jahrzehnten aufgegeben worden. Das BVerfG vertritt dazu die Auffassung, daß die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz abgewandelt sei. Der Richter sei nach dem Grundgesetz nicht darauf angewiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Er könne sich der "Aufgabe der Fortbildung des Rechts" nicht entziehen (BVerfGE 34, 286). Diese über das Prinzip der Gewaltenteilung und die Grenzen des Art. 20 GG hinausgehende Freifahrkarte, die das BVerfG der Rechtsprechung ausstellt, führt nicht nur zur ständigen Schöpfung neuer rechtlicher Vorschriften durch die Rechtsprechung, dabei beispielsweise auch zu solchen, die noch nicht gelten, aber nach der Rechtsprechung des BVerfG erst nach bestimmten Zeitläufen in Kraft treten sollen, ebenso wie manche Vorschriften verfassungswidrig sein, jedoch vorerst befristetet weiter gelten sollen, sondern auch dazu, daß die Bindung an bestehende gesetzliche Vorschriften beliebig beiseite geschoben wird. Das BVerfG hat sich zum Supergesetzgeber aufgeschwungen und stellt den Richter über das Gesetz. Diesem Vorbild folgen nicht nur die Obersten Bundesgerichte, sondern zwischenzeitlich auch häufig die unteren Instanzen, dabei insgesamt begünstigt durch Aktivitäten des Gesetzgebers, der einen unglaublichen Eifer darin entwickelt, eine Fülle von Gesetzen zu produzieren, deren Quantität oft in bemerkenswertem Gegensatz zur Qualität steht. Symptomatisch ist die Gesetzesschwemme, die der Rechtsanwender ab 1.1.2002 zu beachten hat. Dazu gehören neben vielen anderen Gesetzen dasjenige zur Euro-Umstellung, das Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr, das Überweisungsgesetz, das Gewaltschutzgesetz, das Prostitutionsgesetz, das Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, die Neufassung des Bundeskindergeldgesetzes und des Unterhaltsvorschußgesetzes, das Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen (von steuerrechtlichen Änderungen gar nicht zu reden), aber vor allem das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, die ZPO-Reform (vgl. dazu die Darstellung von EGON SCHNEIDER, Das neue Zivilprozeßrecht, ZAP Fach 13, S. 1063), das Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigungen im Baugewerbe v. 30.8.2001 (mit erläuterndem BMF-Schreiben v.1.11.2001, vgl. Beilage 2 zum Betriebs-Berater 8/2002; vgl. auch NEUHAUS/RISSE ZAP Fach 5, S. 141), das tief ins Werkvertragsrecht eingreift und den Steuerbürger zum Büttel des Finanzamts macht (Einbehalt von 15 % des Werklohns aller Abschlagszahlungen in fast allen Werkverträgen), das künftige Änderungsgesetz zum Schadensersatz und das Mietrechtsreformgesetz. Letzteres trat schon am 1.9.2001 in Kraft und sah beispielsweise eine Neuregelung des selbständigen Beweisverfahrens im Mietrecht mit einer Geltungsdauer von sage und schreibe 4 Monaten vor, die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ab 1.1.2002 wieder außer Kraft gesetzt worden ist (vgl. REINELT, Kolumne ZAP 15/2001, S. 931). Daß bei dieser - wie EGON SCHNEIDER es bezeichnet hat - "Gesetzgebungskanonade ins Dunkle" (MDR 1980, 360) die Rechtsprechung geradezu provoziert wird, die ihr eigentlich aufgegebenen Grenzen zu überschreiten, ist kaum verwunderlich. ERNST WOLF hat all dies und insbesondere die Vorreiterrolle des BVerfG in diesem Zusammenhang als "Krise des Rechtsstaats" (Marburg 1995) zutreffend analysiert. Er schreibt dazu:
Demnach hat sich die Rechtsanwendung von einer aus Recht und Gesetz rational ableitbaren Anwendungsmethode weitgehend wegentwickelt zu einer irrationalen "Rechtsschöpfung". Kein Wunder bei einer solchen Entwicklung, daß der Münchener Notar HANS WOLFSTEINER (wohlgemerkt nicht 1938, sondern 60 Jahre später, nämlich 1998 auf dem Deutschen Juristentag!) den Begriff der Rechtsanwendung wie folgt definiert:
Die zynische Gleichsetzung von Macht und Recht indessen bedeutet - wie ERNST WOLF zutreffend herausgearbeitet hat - das Ende des Rechtsstaats. Sie verkennt, was der Jurist zu tun hat, wenn es ums Recht geht: nämlich objektives Recht und subjektive Rechte der Partei ermitteln und anwenden. Recht ist nicht identisch mit Macht. Recht gilt für Menschen, ist aber nicht identisch mit Macht über Menschen. Rechtsanwendung ist nicht Machtausübung oder Unterdrückung. Rechtsanwendung bedeutet vielmehr: Ermittlung oder Auslegung rechtlicher Normen, deren Vergleich mit dem Tatsachenvortrag und Feststellung der daraus sich ergebenden rechtlichen Schlußfolgerungen. Diese Erkenntnis kann nur unter Zugrundelegung logischer Strukturen (durch Syllogismen) gewonnen werden. Die Tatsachengewinnung führt zur Bildung des Untersatzes. Dieser wird mit dem rechtlichen Obersatz, der entweder aus gesetzlichen Bestimmungen oder sonstigen Vorschriften wie Gewohnheitsrecht entnommen oder gebildet wird, verglichen, um dann zu einer bestimmten Schlußfolgerung zu kommen. Vordersätze führen dabei nur dann zu wahren Ergebnissen, wenn diese ihrerseits mittels eines zuverlässigen wissenschaftlichen Verfahrens gefunden worden sind. Um den Zweck und den Anwendungsbereich des Obersatzes herausarbeiten zu können, muß das Gesetz ausgelegt werden. Dabei beruht die Auslegung natürlich selbst wieder auf Folgerungen. Um das nachvollziehbar und rechtssicher tun zu können, ist es erforderlich zu wissen, wie man Begriffe definiert. Es wird Zeit, daß Rechtsprechung und Rechtswissenschaft ihr milde-ironisches Lächeln über Begriffe und logische Deduktionen überdenkt. Das Gebot begrifflicher Klarheit kann nicht wichtig genug genommen werden (EGON SCHNEIDER, Logik für Juristen, 5. Aufl., S. 24). Ohne begriffliches Denken - so stellt EGON SCHNEIDER mit Recht fest - gibt es keine Rechtswissenschaft und keine nachvollziehbare Rechtsanwendung. RUDOLF VON IHERING hat mit seinem "Kampf ums Rechts" bereits im Jahr 1890, 10 Jahre vor In-Kraft-Treten des BGB, den Grundstein für die spätere Entwicklung der sog. Interessenjurisprudenz gelegt, indem er den Begriffen den Kampf angesagt hat. Viele Juristengenerationen sind als Kinder der danach begründeten Interessenjurisprudenz aufgewachsen und sind es gewöhnt, mißbilligend die Stirn zu runzeln, wenn von Begriffen gesprochen wird. In der Folgezeit hat dies zu einem sich bis heute steigernden Abwägungswahn amorpher Interessen geführt, der dazu geeignet ist, gesetzliche Regelungen und Begriffe zu ignorieren, wenn es ins Konzept paßt. Rechtsanwendung ohne Respekt vor gesetzlich definierten Normen und ohne methodisch zuverlässige Ableitung von Begriffen aber ist irrational. VII. Die RichterherrschaftDie Verschiebung zur Irrationalität und die Verlagerung der Befugnisse des Gesetzgebers auf den Richter ist im übrigen auch dazu angetan, ein mit dem deutschen Rechtssystem grundsätzlich nicht vereinbares "Prinzip der Richteroligarchie" zu fördern. Natürlich behaupte ich nicht, daß Richter grundsätzlich selbstherrlich oder selbstgerecht seien. Es gibt hervorragende Richterpersönlichkeiten mit großer Sachkompetenz und Autorität. Aber die von EGON SCHNEIDER in seinem ZAP-Justizspiegel dargestellten Beispiele geben doch zu denken. Bleibt die unter der Ägide des BVerfG sich vollziehende Machtverlagerung vom Gesetzgeber auf den Richter und die damit verbundene Richterherrschaft völlig ohne Einfluß auf die Psyche des Richters? Führt sie nicht doch zu der Gefahr, daß jedenfalls weniger gefestigte Persönlichkeiten - und solche gibt es selbstverständlich auch unter Richtern - zur Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit und damit zu einem unangemessenen Umgang mit Parteien und Anwälten neigen? BERND RÜTHERS hat (nicht nur in seinem Werk "Die unbegrenzte Auslegung", sondern auch) in der FAZ v. 2. 2. 2000 unter dem Titel: "Auf dem Weg zum Richterstaat" die Entwicklung einleuchtend dargelegt. Nach seiner Auffassung war das Recht im Kern eine ideale objektive Vorgegebenheit, die Ausprägung einer überzeitlichen objektiven Rechtsidee. Diese Vorstellung sei durch die praktischen Erfahrungen der Generationen seit 1918 nachhaltig in Frage gestellt. Die gängigen Lehr- und Handbücher zur juristischen Methodenlehre verschweigen und verdrängen die politischen Irrwege und Erblasten ihrer Disziplin. Die Methodik der Obersten Bundesgerichte heute bedeutet - wie BERND RÜTHERS zutreffend ausführt - im Ergebnis den fortgesetzten methodisch rechtspolitischen Blindflug der Rechtsanwender und die verdeckte Anmaßung richterlicher Gesetzgebung an der Verfassung vorbei. Diese sog. Methode gewährt den subjektiven Regelungswünschen - so RÜTHERS - und Rechtsidealen der Richter den weitest möglichen Spielraum, notfalls auch gegen das geltende Gesetz. Die Auslegungsmethode der Obergerichte ist wissenschaftlich nicht begründbar, sondern dient nur dazu, die Macht zur Rechtssetzung von der Gesetzgebung auf die Obersten Bundesgerichte umzuverteilen. RÜTHERS folgert deswegen zutreffend: Diese Methode ebnet den Weg von der rechtsstaatlichen organisierten parlamentarischen Demokratie zum oligarchisch aristokratischen Richterstaat, der von den letzten Instanzen beherrscht wird. Unbefangen - so RÜTHERS - werden bis heute Scheinargumente verwendet, die die eigenwillige richterliche Normsetzung als scheinbar wissenschaftlich begründete Auslegung etikettieren. Dazu gehören Mystifikation wie Argumente aus dem Wesen von Einrichtungen, aus der Natur von Sachen, aus dem Kern von Vorschriften oder aus angeblich "objektiv teleologischen" Kriterien. BERND RÜTHERS hat Recht. Die von ihm geschilderte Entwicklung zum oligarchisch aristokratischen Richterstaat ist nicht nur ein methodischer Irrweg, sondern birgt außerdem die Gefahr, daß jedenfalls weniger gefestigte Richterpersönlichkeiten ihre Funktion und Bedeutung überschätzen und das den Rechtsunterworfenen deutlich spüren lassen. EGON SCHNEIDER hat das mit vielen Beispielen in seinem Justizspiegel belegt. Jedem Anwalt sind aus seiner Praxis Fälle bekannt, die die These bestätigen.
Einzelfälle oder Vorgänge, die symptomatisch für selbstgerechtes und selbstherrliches Verhalten von Richtern sind? Ein anderes Beispiel:
Der Vorsitzende Richter (der natürlich in diesem nach wie vor von der Kammer zu entscheidenden Fall die Stellungnahme kannte), hatte es für unter seiner Würde gehalten, sich die Mühe zu machen, diese zwei Sätze einem beteiligten Prozeßbevollmächtigten am Telefon vorzulesen oder sinngemäß wiederzugeben. Zufall? Ausrutscher? Oder eine Folge des durch Rechtsprechung und Rechtsanwendung gezüchteten Oligarchieprinzips und einer damit einhergehenden Selbstüberschätzung der Richter? Im Zuge dieser Entwicklung liegt beispielsweise auch die von EGON SCHNEIDER mit Recht kritisierte richterliche Fristverlängerungspraxis (vgl. ZAP Fach 13, S. 991): Drei Kammern des Landgericht München I hatten sich eine eigene Auslegung des § 224 Abs. 2 ZPO am Gesetz vorbei gebastelt (Bearbeitung von Fristverlängerungsanträgen nur, wenn sie schriftlich mehrere Tage vor Fristablauf vorgelegt werden; insoweit Abweichung von der Rechtsprechung des BVerfG NZA 2001, 118: Danach sind (formlose) Fristverlängerungsgesuche zulässig, die am letzten Tag der Frist eingehen). Die Neuschöpfung von Zivilprozeßrecht durch diese Kammern hatte sich durch rasche und entschlossene Intervention der Präsidentin des Landgerichts München 1 auf die Initiative einiger Anwälte erledigt. Der Münchner Alleingang in der Fristverlängerungspraxis wurde wieder ad acta gelegt. Auf eine solche die Zivilprozeßordnung abändernde Fristverlängerungsrechtsprechung kann man doch nur kommen, wenn man als Richter seine eigene Bedeutung überschätzt. Es ist erforderlich, daß der Richter sich auf seine Aufgabe besinnt. Er ist nicht der Herrscher über Rechtsunterworfene und das Recht, sondern dessen Diener. VIII. Ursachen der FehlentwicklungWorin liegen die Ursachen der Fehlentwicklungen? Die irrationalen Tendenzen, die seit Jahrzehnten mit kräftiger Unterstützung von Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Auflösung von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit führen, haben tiefere Ursachen, die auch bereits in der Ausbildung in Schule und auf der Universität erkennbar sind. In Berlin fand eine Demonstration von Schülern gegen Sparmaßnahmen in der Schulausbildung statt. Man trat dort auf mit einem Spruchband: "Hurra wir verblöden". Direkt unter diesem Plakat, das damit die Überschrift des Artikels bildete, hat der Spiegel ein Interview mit dem Autor und Rechtsprofessor BERNHARD SCHLINK abgedruckt (Spiegel 2/2002, S. 39). In diesem Interview äußert sich PROF. SCHLINK zur sog. "Pisa-Studie", die die katastrophale Positionierung der deutschen Schüler im Weltvergleich, auch hinsichtlich der Beherrschung der eigenen Sprache, belegt. Spiegel: Mit Recht kritisiert SCHLINK den von ihm geschilderten Methodenwechsel und stellt einen Zusammenhang zwischen diesem und der zunehmenden Unfähigkeit her. Die Spaßgesellschaft hat den Spaß am Denken verlernt. Kein Wunder, wenn eine Generation in erster Linie als Opfer der Unterhaltungsindustrie aufwächst und ihre Bildung und/oder Intelligenz mit Methoden ermittelt wird, wie sie in der Lieblingsquizsendung des Deutschen "Wer wird Millionär" verwendet werden. Beispiel entsprechender Fragestellungen aus dieser Sendung mit GÜNTHER JAUCH im Fernsehsender RTL am 12.1.2002: "Welches Vögelchen gehört nicht zur Familie der Sperlingsvögel? oder: "Was hat ein Bigamist auf jeden Fall doppelt? oder schließlich (Sendung vom 14.1.2002): "Welcher Film wurde nach einem Roman von Edgar Wallace 1963 ins Kino
gebracht? Es ist schwer, zum Denken erzogen zu werden, wenn man der ständigen Überflutung durch Unterhaltung ausgesetzt ist, mit dem Kästchendenken der Computernutzung aufwächst und kaum noch liest. Dann hat man natürlich Probleme mit gedanklichen Strukturen. Die Beherrschung der Grammatik und der Syntax hat Seltenheitswert. Die einzelnen casus sind selbst bei Nachrichten in den Medien Glückssache. Zwischen Genitiv, Dativ und Akkusativ geht alles durcheinander. Sprachliche Präzision, Syntax und Grammatik sind der nachwachsenden Generation weitgehend unbekannt. Offenbar fällt es heute schwer, zum Denken zu erziehen und vor allem auch Freude am Denken zu vermitteln. Beides gehört aber zu jeder vernünftigen Ausbildung und in der Juristerei zu jeder sinnvollen Gesetzgebung und Rechtsanwendung. An sprachlicher Disziplin fehlt es gerade auch in juristischen Veröffentlichungen häufig (vgl. dazu EGON SCHNEIDER, Die Klage im Zivilprozeß, Rn. 114 ff.). Nur drei Beispiele aus der juristischen Literatur:
Wer versteht die Aussage? Gibt es überhaupt eine?
Welche Anforderungen sollen wann entbehrlich sein? Gemeint ist: Wie muß eine Behinderungsanzeige aussehen und wann ist sie entbehrlich?
Mit welchem Schlüssel sollen die Länder welche Gewinne teilen? Oder sollen Erwartungen geteilt werden? Wie macht man das? Ist Personalgewinn eine sprachliche Neuschöpfung im Arbeitsrecht oder nur ein Wortungetüm? Gemeint ist: Anders als das Bundesjustizministerium erwarten die Vertreter der Länder nicht, daß Personal eingespart werden könne. Die unpräzisen Ausdrucksweisen sind für große Teile des juristischen Schrifttums symptomatisch. Sie indizieren nicht nur ungenaues Denken, sondern verführen auch dazu. Jahrelange Erfahrungen des Verfassers als Prüfer in juristischen Staatsprüfungen bestätigen das: In der Ausbildung pfropfen sich die Studenten die Köpfe voll mit unzähligen immer detaillierteren Fallbeispielen, als hätten wir es in unserem Rechtssystem längst mit einem amerikanischen "case law" zu tun. Leicht geraten sie in Verzweiflung, wenn der zu lösende Fall in Einzelheiten von einem aus der eingepaukten Mustersammlung abweicht. Systematische, logische und deduktive Folgerungen: Fehlanzeige. In die größte Panik geraten Kandidaten bei Fragen, die eine schlichte Definition von Begriffen voraussetzen. Auf die Frage: " Was ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?" (ein gerichtlicher Beschluß [genus proximum]) mit dem Inhalt, eine Prozeßpartei, die tatsächlich eine Notfrist versäumt hat, so zu behandeln, als habe sie diese Frist nicht versäumt [differentia specifica]) bekommt man alle möglichen Antworten (,man muß einen Antrag stellen", "wenn man eine Frist versäumt hat..., man muß eine eidesstattliche Versicherung vorlegen ...", und dergleichen mehr). Kaum einer weiß, wie er einen Begriff definieren soll und was mit der Frage nach der Definition eines Begriffes ("Was ist das?") überhaupt gemeint ist. Der Satz:
wird nicht nur deshalb nicht verstanden, weil Latein ein Buch mit sieben Siegeln ist, sondern weil der Inhalt dieser Aussage den angehenden Juristen total überfordert. Er weiß nicht, daß man an eine Definition durch Suche nach dem Oberbegriff und Festlegung der differentia specifica herangeht. Wie soll er - als Richter - zutreffende Urteile verfassen? IX. Was ist zu tun?Die "Pisa-Studie" mit ihren katastrophalen Ergebnissen für Deutschland (als eines der Schlußlichter im Bildungsvergleich zwischen Ländern der Welt) hat natürlich gleich wieder hektische Aktivitäten und neue Rufe nach Ausbildungsreformen laut werden lassen, die umgehend mit Bedenken gegen die Finanzierbarkeit gekontert werden. Sofort wurde ein Arbeitskreis "Pisa" gegründet. Die Defizite aus der Bildungskatastrophe und aus dem Niedergang der juristischen Fähigkeiten sind aber nicht nur zu lösen durch Arbeitskreise und Schul- oder Ausbildungsreformen mit dem Inhalt weiterer oder andersartiger Stoffvermittlung. Das zentrale Thema ist vielmehr der Verlust der Fähigkeit zum begrifflichen methodischen Denken und Argumentieren. Entgegen verbreiteter Ansicht führt die Komplexität der Lebensvorgänge keineswegs dazu, daß die Logik überholt wäre. Sie ist heute so unentbehrlich wie eh und je. Die Regeln des Denkens müssen bereits in der Schule und um so mehr in der juristischen Ausbildung vermittelt werden. Natürlich wird die Fähigkeit, logisch zu denken, bei aller Gleichmacherei immer unterschiedlich ausgeprägt sein. Aber die Grundregeln methodischen Denkens kann jeder lernen. Man muß sie nur vermitteln und ständig üben (wozu nicht nur die alten Sprachen und Mathematik, sondern auch - wie die Griechen schon sehr wohl wußten - die Ausbildung in Musik einen wesentlichen Beitrag leisten können). Zu der verdienstvollen Minderheit, die Fehlentwicklungen und Schwächen im juristischen Denken bloßgelegt hat und durch eine nachvollziehbare logisch fundierte Methodik bekämpft, gehört seit Jahrzehnten EGON SCHNEIDER. Seine "Logik für Juristen" hat mich bereits in den 60iger Jahren im Studium tief beeindruckt. Inzwischen ist sie in 5. Auflage erschienen. Dieses Werk sollte eine zentrale Rolle in der Ausbildung jedes Juristen spielen. Ein anderer wichtiger Vertreter der logischen Schule, der - unter erheblichen Anfeindungen - seit Jahrzehnten gegen die Auflösung aller nachvollziehbaren Rechtsmethodik und Rechtssicherheit kämpft, ist ERNST WOLF. Über ihn schreibt EGON SCHNEIDER in seinem ZAP-Buch-Report (Beilage zu ZAP 2112001):
ERNST WOLF selber hat in der Schrift "Die Krise des Rechtsstaats" (Marburg 1995), die hier angedeutete Fehlentwicklung im Detail belegt und deren Ursachen analysiert. Am Ende seiner Schrift hat er folgendes Resümee gezogen:
Wörtlich sagt KUNG FUTSE (vgl. a.a.0. Fn. 343) auf die Frage des Fürsten, was der Meister zuerst in Angriff nehmen würde:
Und weiter ERNST WOLF:
Was also ist zu tun? Zu fordern ist neben der Wissensvermittlung schon in der Schule und noch mehr in der juristischen Ausbildung richtige Methodik: Lehren, Lernen und Üben, wie man Begriffe definiert, Begriffe zu sinnvollen Sätzen formt und wie man unter Beachtung der Logik folgerichtig denkt und argumentiert. Logik darf nicht mehr als Haarspalterei diffamiert werden. Die Gesetzgebung sollte auf ein Übermaß an generalklauselartigen Inhaltslosigkeiten und sog. unbestimmten Rechtsbegriffen verzichten und lieber wenigere, aber klar formulierte und widerspruchsfreie Rechtsvorschriften schaffen. Gesetzgebung und Rechtsprechung müssen ablassen von der Überflutung mit Generalklauseln, unbestimmten und unbestimmbaren Formulierungen und von methodisch und sachlich fragwürdigen Scheinbegründungen. Der Richter muß zu der Überzeugung zurückfinden, daß er das Recht nicht frei erfindet, sondern ihm dient. Nur so kann irrationalen Entwicklungen im Recht Einhalt geboten werden. In welchem Umfang das angesichts der vom Gesetzgeber angerichteten Flut generalklauselartiger Inhaltslosigkeiten in Zukunft noch möglich ist, wird sich zeigen. Irrationale Rechtsfindung - das ist nicht nur eine contradictio in adiecto, sondern eine Zustandsbeschreibung weiter Bereiche unserer Rechtswirklichkeit. Auswege aus der Krise haben unter anderen ERNST WOLF und EGON SCHNEIDER aufgezeigt. Man muß die Wege nur gehen: Rückkehr zu klaren Begriffen und deren Definition, zum methodischen Denken und Argumentieren, Eindämmung der Flut von Generalklauseln und Leerworten und Einschränkung der Beliebigkeit des Umgangs mit Rechtsnormen in der richterlichen Praxis. Das sind die ersten Schritte für eine Rückkehr zur Rationalität. |