jurisPR-BGHZivilR 10/2017 Anm. 1

Rechtsfolgen von Witterungseinflüssen beim Bau
BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 20.04.2017 - VII ZR 194/13
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Es ist vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen keine dem Auftraggeber obliegende erforderliche Mitwirkungshandlung i.S.d. § 642 BGB, während der Dauer des Herstellungsprozesses außergewöhnlich ungünstige Witterungseinflüsse auf das Baugrundstück in Form von Frost, Eis und Schnee, mit denen nicht gerechnet werden musste, abzuwehren.

A. Problemstellung
Wie wirken sich Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit auf das Baugeschehen und auf die Rechte und Pflichten der Parteien aus? Führen außergewöhnliche Schlechtwetterzeiten zu einer dem Bauherrn zuzurechnenden Behinderung, die Ansprüche des Auftragnehmers nach § 642 BGB auslöst?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, Auftragnehmerin, verlangt von der Beklagten, Bauherrin, erhebliche Zahlungen wegen witterungsbedingter Unterbrechung der Bauausführung bei der Errichtung einer Autobahnbrücke. Die Klägerin hatte die Errichtung der Brücke einschließlich der Rampen zu erbringen. Vereinbart waren die Geltung der VOB/B (2006) und eine Beendigung der Bauausführung spätestens zum 15.05.2010.

Im Januar und Februar 2010 gab es eine außergewöhnlich lange Periode mit Frost, Eis und Schnee, die weit über den Durchschnittswerten der vergangenen 30 Jahre lag. Die Klägerin zeigte die witterungsbedingte Einstellung der Bauarbeiten an. Die Arbeiten seien wegen Temperaturen von dauerhaft -5° und 30 cm starker Schneedecke mit Vereisung der Oberfläche nicht weiterzuführen.

Die Bauherrin verlängerte daraufhin die Ausführungsfrist um den Zeitraum des witterungsbedingten Stillstands. Ein Nachtragsangebot der Klägerin, mit dem sie Kosten der Bauhilfsmittel, Baustelleneinrichtung, Gemeinkosten, Verkehrssicherung, Personal und Unterdeckung der Allgemeinen Geschäftskosten aufgrund der witterungsbedingten Verzögerung geltend machte, lehnte die Beklagte ab. Die Parteien streiten um das entsprechende Nachtragsangebot.

Das Erstgericht hatte die Klage ab-, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb beim BGH ohne Erfolg.

Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch aus § 642 BGB. Zwar sei diese Vorschrift über die Verweisung in § 6 Nr. 6 Satz 2 BGB nach entsprechender Behinderungsanzeige anwendbar. Es fehle allerdings an einer Mitwirkungshandlung des Auftraggebers i.S.d. § 642 BGB. Von einer Obliegenheit des Auftraggebers, dem Auftragnehmer für die Bauausführung auskömmliches Wetter zur Verfügung zu stellen, könne keine Rede sein.

Der BGH hat auf die entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde die Revision der Gegenseite zugelassen, offenbar um die hiermit zusammenhängenden Fragen eindeutig und umfassend zu klären. Das ist mit der besprochenen Entscheidung klar und überzeugend gelungen. Der BGH bestätigt jedoch die Vorentscheidungen.

Zunächst hält der Senat fest: Die außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse i.S.d. § 6 Nr. 2 Abs. 1 c VOB/B führen zwar zu einer (hier vom Bauherrn akzeptierten) Verlängerung der Ausführungsfrist. Eine Anpassung des Vergütungsanspruchs ist jedoch nicht vereinbart.

Ein Mehrvergütungsanspruch ergibt sich mangels Anordnung der Beklagten auch nicht aus § 2 Nr. 5 oder 6 VOB/B. Denn hierfür wäre eine Anordnung des Bauherrn erforderlich.

Das Berufungsgericht hat – so der VII. Zivilsenat – aber auch den Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB zutreffend verneint. Vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen gibt es keine dem Auftraggeber obliegende Mitwirkungshandlung i.S.d. § 642 BGB, die ihn veranlassen müsste, während der Dauer des Baugeschehens außergewöhnlich ungünstige Witterungsverhältnisse auf das Baugrundstück abzuwehren. Bei der Errichtung einer Autobahnbrücke obliegen dem Bauherrn zwar Mitwirkungshandlungen, z.B. die Obliegenheit, das betreffende Baugrundstück während des Herstellungsprozesses für die Erbringung der vereinbarten Leistungen zur Verfügung zu stellen. Dafür müssen auch eventuelle erforderliche Vorarbeiten, die nicht von der Klägerin zu leisten waren, rechtzeitig durchgeführt sein.

Jedoch: Die äußeren Einwirkungen in Form von Frost, Eis und Schnee – auch in ungewöhnlichem Umfang – kann und muss der Bauherr nicht abwehren, wenn die Parteien nichts Gegenteiliges vereinbart haben. Dabei handelt es sich um Umstände, die keine Partei beeinflussen kann. Auch mit vernünftigen Schutzmaßnahmen kann die Erbringung der Leistungen – Bau und Betonierung einer Autobahnbrücke – bei nachhaltigem Frost nicht möglich gemacht werden.

Der BGH setzt sich sodann auseinander mit zwei früheren Entscheidungen, in denen jeweils die Obliegenheit für Mitwirkungshandlungen des Bauherrn bejaht worden ist:

Im Urteil vom 21.10.1999 (VII ZR 185/98 - BGHZ 143, 32) war ein erforderliches Vorgewerk nicht hergestellt. Das war dem Auftraggeber als Mitwirkungshandlung im Zusammenhang mit der Zurverfügungstellung des Baugrundstücks für die Leistungen des Auftragnehmers zuzurechnen.

Im Urteil vom 20.10.2005 (VII ZR 190/02 - BauR 2006, 371 „Schürmann-Bau“) konnten die Bauarbeiten wegen eines unzureichenden Hochwasserschutzes nicht weitergeführt werden. In jener Entscheidung war der von der Bauherrin errichtete Hochwasserschutz aufgrund unzureichender Planung lückenhaft. Deshalb musste auch dort dem Bauherrn die Unterlassung einer Mitwirkungshandlung zugerechnet werden. Folge: Entschädigungsansprüche des Unternehmers nach § 642 BGB.

Der Senat stellt in der aktuellen Entscheidung klar: Sollte den beiden genannten Entscheidungen in Bezug auf die Verantwortlichkeit für außergewöhnlich ungünstige Witterungseinflüsse etwas anderes (eine grundsätzliche Verantwortung des Bauherrn) zu entnehmen sein, hält der Senat daran nicht fest.

Schließlich verneint der BGH das Vorliegen einer Regelungslücke im Vertrag, die mit ergänzender Vertragsauslegung zugunsten des Auftragnehmers geschlossen werden könnte. Er stellt klar, dass der Anspruch der Klägerin auch nicht auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestützt werden kann (a.A. Pauly, BauR 2014, 1213). Die Parteien haben – so der Senat – im Vertrag das aus einer Verlängerung der Ausführungszeit gemäß § 6 Nr. 2 Abs. 1c Nr. 1 VOB/B resultierende finanzielle Risiko im Hinblick auf etwa entstehende Mehrkosten der Bauausführung grundsätzlich dem Auftragnehmer zugewiesen. Besondere Umstände, die für den Auftragnehmer dazu führen würden, dass das nach dem Vertrag zugewiesene Risiko überschritten und ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist, seien weder festgestellt noch erkennbar.

C. Kontext der Entscheidung
§ 6 Ziff. 2 VOB/B (Fassung 2006, die insoweit identisch ist mit der neuen Fassung 2009) enthält eine Regelung für die Verlängerung von Ausführungsfristen bei höherer Gewalt oder unabwendbaren Umständen.

Abs. 2 der Vorschrift stellt klar: Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit, mit denen normalerweise gerechnet werden muss, gelten nicht als Behinderung. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ungewöhnliche Witterungsverhältnisse – wie hier – sind Behinderungstatbestände. Sie führen daher zur Verlängerung von Ausführungsfristen. Wenn sie von einem Vertragsteil zu vertreten wären, könnte es aber auch Schadensersatzansprüche geben (§ 6 Nr. 6 Nr. 1 VOB/B). Für den Fall, dass der Bauherr die Behinderungen nicht zu vertreten hat, verweist § 6 Nr. 6 Satz 2 VOB/B auf die Anspruchsgrundlage des § 642 BGB. Sofern eine Behinderungsanzeige erfolgt ist oder die Behinderungen offenkundig sind, ist der Weg für die Anwendung des § 642 BGB auch im VOB-Vertrag frei. In diesem Fall kommen Ansprüche auf angemessene Entschädigung in Betracht. Im Ergebnis enthalten die Bestimmungen der VOB/B eine Einschränkung der Anwendbarkeit des § 642 BGB: Sie ist nämlich von einer Behinderungsanzeige oder Offenkundigkeit der Behinderungstatbestände abhängig.

Das zentrale Problem liegt in der Anwendung des § 642 BGB. Diese Vorschrift statuiert: Einen Entschädigungsanspruch gibt es nur, wenn den Besteller eine Verpflichtung zur Mitwirkungshandlung trifft, dieser aber durch Unterlassen der Handlung in Verzug der Annahme kommt.

Auf Witterungsverhältnisse, seien sie absehbar oder ungewöhnlich, hat der Besteller jedoch keinen Einfluss. Er hat zwar die Obliegenheit, das Grundstück für die Bauarbeiten zur Verfügung zu stellen, ist aber jedenfalls für – durch Schutzmaßnahmen nicht abwendbare – Witterungsverhältnisse, insbesondere beispielsweise Frost, der Betonierarbeiten ausschließt, nicht verantwortlich. Das allgemeine Unternehmer- oder Lebensrisiko in solchen Fällen kann nicht ohne vertragliche Regelung vom Unternehmer auf den Bauherrn abgewälzt werden. Insoweit ist die Formulierung des Senats, die Parteien hätten im vorliegenden Fall das aus der Verlängerung resultierende Risiko dem Auftragnehmer zugewiesen, vielleicht etwas missverständlich. Denn gerade wenn es keine vertragliche Zuweisung gibt, ist klar: Es handelt sich um ein originäres Risiko des Auftragnehmers, das nur – umgekehrt – durch eine vertragliche Vereinbarung auf den Bauherrn verlagert werden könnte.

Was die Mitwirkungsobliegenheit angeht, unterscheidet sich der besprochene Fall von den beiden vom Senat zitierten Vorentscheidungen. In den anderen Fällen gab es Umstände, die letztlich in die Risikosphäre des Bestellers in Bezug auf Mitwirkungshandlungen fielen (nicht rechtzeitige Fertigstellung von Vorarbeiten, unzureichende Planung für die Schutzmaßnahmen gegen Wasser).

D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil stellt in umfassender Weise erfreulich klar: Welche rechtlichen Gesichtspunkte sind im Zusammenhang mit Witterungseinflüssen auf das Baugeschehen zu prüfen? Welche Rechtsfolgen ergeben sich?

Vorrangig ist die Vertragsauslegung, ggf. auch die ergänzende Vertragsauslegung. Ergibt diese keine Risikoübernahme des Bauherrn, so verbleibt das Witterungsrisiko – nicht für die Verlängerung der Ausführungsfrist, wohl aber für zusätzliche Entschädigungsansprüche – grundsätzlich beim Unternehmer.

So sieht das auch die überwiegende Literaturmeinung: Nicht in die Mitwirkungssphäre des Bestellers fallen nicht beherrschbare äußere Einflüsse wie z.B. Witterungseinflüsse (Busche in: MünchKomm BGB, 6. Aufl., § 642 Rn. 7; Pause/Vogel, Bauvertragsrecht, IBR-Kommentar, § 642 Rn. 19, unter Hinweis auf OLG Brandenburg, Urt. v. 26.06.2013 - 11 U 36/12, Vygen/Joussen, Bauzeitverlängerung und Leistungsänderung, 5. Aufl. 2008, Rn. 688).

Die Entscheidung des BGH überzeugt. Ohne vertragliche Überwälzung auf den Bauherrn bleibt es beim originären Unternehmerrisiko. Ein hypothetischer Vergleichsfall macht das deutlich: Der Bauherr stellt dem Unternehmer ein Grundstück baureif zur Verfügung. Die Ausführung ist jedoch deshalb (zunächst) nicht möglich, weil wegen einer Terrordrohung oder eines Bombenfunds auf einem Nachbargrundstück das Gelände weiträumig abgesperrt wird. Deswegen kann mit den Arbeiten nicht begonnen werden. Hier tritt ein typisches allgemeines Unternehmer- oder Lebensrisiko ein. Dieses kann nicht über § 642 BGB dem Auftraggeber aufgebürdet werden.

Für die Praxis ist es von großer Bedeutung, dass der VII. Zivilsenat nunmehr mit seiner neuen Entscheidung klare Grundlagen für den Einfluss von Witterungsverhältnissen auf das Baugeschehen geschaffen hat.

Ein Anspruch aus § 642 BGB kommt mithin nur in Betracht, wenn es um Umstände geht, die mit einer vertraglichen Pflicht oder Obliegenheit des Bauherrn zusammenhängen und damit in dessen Risiko fallen (Leupertz, BauR 2014, 381, 388; Sienz, BauR 2014, 390).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der VII. Zivilsenat hat die Revision auf Antrag der Gegenseite gegen das Berufungsurteil zugelassen, jedoch im Ergebnis die Vorentscheidungen bestätigt. Der Vorgang belegt: Nicht immer bedeutet die Zulassung der Revision, dass das Berufungsurteil aus der Sicht des BGH verfehlt ist. Sie kann vielmehr auch erfolgen, wenn das Berufungsurteil richtig ist, der BGH aber die Gelegenheit nutzen will, grundlegende Rechtsfragen umfassend klarzustellen.