ZAP Kolumne 2017, Heft Nr. 8, Seite 385

ZAP Kolumne

Vertretung in Zivilsachen beim Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Vor dem Bundesgerichtshof können sich die Beteiligten in zivilrechtlichen Verfahren nur durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, der beim Bundesgerichtshof zugelassen ist. Die Singularzulassung, die das Bundesverfassungsgericht als verfassungsmäßig gebilligt hat (Beschl. v. 31.10.2002 – BvR 819/02, JZ 2003, 252), gewährleistet, auch unter Berücksichtigung ihrer Filterfunktion, die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs, der sonst in Zivilsachen von insgesamt ca. 165.000 Rechtsanwälten in der Bundesrepublik mit Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen beliefert werden würde. Angesichts der (geringen) Zahl von rund 4.500 Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen, die dem Bundesgerichtshof jährlich zugetragen werden, bedeutet das: Geht man vom Durchschnitt eines Anwaltslebens mit 35 Jahren aus, hätte jeder Instanzanwalt in seinem Berufsleben einmal die Gelegenheit, einen Zivilrechtsfall zum höchsten deutschen Zivilgericht zu bringen und damit keine Gelegenheit, sich im Revisionsrecht zu üben. Es wäre der Rechtsentwicklung sicherlich nicht förderlich, wenn die mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesgerichtshof deshalb zu Fortbildungsveranstaltungen im Revisionsrecht mutieren würden.

Eine Aufgabe der Singularzulassung würde die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs mit seinen derzeit zwölf Senaten in Zivilsachen nicht nur erheblich beeinträchtigen, sondern nach Äußerungen aus der Richterschaft (ohne Einrichtung zahlreicher neuer Senate) komplett lahmlegen. Umgekehrt würde die Abschaffung der Singularzulassung – angesichts der geringen Zahl der Zivilverfahren vor dem Bundesgerichtshof – der Anwaltschaft insgesamt kaum nützen. Auch liegt es durchaus im Interesse der Parteien, wenn in das Revisionsverfahren eine neue, unabhängige und ggf. auch kritische Stellungnahme des BGH-Anwalts eingebracht wird. Die damit verbundene Kontrolle würde entfallen, wenn der Hausanwalt in allen drei Instanzen auftritt. Auch bei medizinischen Behandlungen wird ja nicht grundlos zu einer zweiten Meinung geraten.

Bisher votiert der überwiegende Teil der Anwaltschaft für die Beibehaltung der Singularzulassung: Nach der letzten Umfrage aus dem Jahr 2007 haben 62 % der deutschen Anwälte die Beibehaltung der BGH-Anwaltschaft befürwortet (HOMMERICH/ KILIAN NJW 2007, 2308). Auf der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer hat am 29. April 2005 die 29. Präsidentenkonferenz einen Antrag der Rechtsanwaltskammer Thüringen zur Abschaffung der Singularzulassung abgelehnt. Richter und Präsidenten des Bundesgerichtshofs haben in dessen über 65jähriger Geschichte die Erhaltung einer besonderen Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof stets als unverzichtbar für die Funktion des Bundesgerichtshofs hervorgehoben (REINELT ZAP, F. 23, S. 805).

Seit Jahrzehnten gibt es gleichwohl immer wieder Bestrebungen in der Anwaltschaft, die Singularzulassung in Zivilsachen beim Bundesgerichtshof in Frage zu stellen oder abzuschaffen. Nach einer neuen Initiative der Rechtsanwaltskammer Berlin aufgrund eines Beschlusses vom 8. März 2017 soll sich die Bundesrechtsanwaltskammer jetzt für die Abschaffung der Singularzulassung beim Bundesgerichtshof einsetzen.

Begründet wird das mit einer Umfrage der Rechtsanwaltskammer Berlin, bei der sich 73 % aller Umfrageteilnehmer für die Abschaffung der Singularzulassung beim Bundesgerichtshof ausgesprochen haben sollen. Das klingt eindrucksvoll. Wenn man es näher betrachtet, ist diese Umfrage aber sehr zu relativieren:

Tatsächlich haben sich hierbei für die Frage, Beibehaltung oder Abschaffung der Singularzulassung, gerade einmal ca. 8 % der in Berlin zugelassenen über 14.000 Rechtsanwälte beteiligt. Davon haben ca. 70 % (rund 800 Anwälte) für die Abschaffung der Singularzulassung votiert. Das ist – bezogen auf die gesamte Berliner Anwaltschaft von über 14.000 Anwälten – ein bescheidener Prozentsatz von gut 6 %.

Wenn man allerdings unter Hinweis auf die eindrucksvolle Zahl von 70 % den Eindruck erwecken will, als sei damit klargestellt, die überwiegende Anzahl der Berliner Anwälte postuliere die Abschaffung der Singularzulassung beim Bundesgerichtshof, dann handelt es sich doch um eine sehr populistische Irreführung. Tatsächlich kann von einer deutlichen Mehrheit auch in Berlin in einem solchen Fall keine Rede sein, wenn sich lediglich ein so geringer Kreis von Anwälten bei dem Thema überhaupt gemeldet hat. Die Umfrage spricht im Gegenteil gerade dafür, dass das Thema der Singularzulassung die Anwaltschaft auch in Berlin nicht sonderlich bewegt, was angesichts der dem Bundesgerichtshof jährlich neu zugetragenen Zivilsachen auch nicht weiter verwundert.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Vorstoß der Rechtsanwaltskammer Berlin jedenfalls tatsächlich nicht auf eine tragfähige Mehrheit in der Anwaltschaft stützten.

Die letzte – eingangs erwähnte – Umfrage aus dem Jahr 2007 hat ergeben: Das Petitum der Abschaffung der BGH-Anwaltschaft wird von einer deutlichen Mehrheit der Instanzanwälte abgelehnt. Das entspricht auch unseren Erfahrungen: Immer wieder kommen aus Kreisen der Instanzanwälte positive Rückmeldungen in Bezug auf die Arbeit der Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof. In besonderem Maße gilt das allerdings gerade auch für Rückmeldungen vom Bundesgerichtshof und dessen Richtern selber. Das Verlangen nach Abschaffung der Singularzulassung mag zwar heute immer stärker betonten populistischen Tendenzen entsprechen. Es hat jedoch weder in der Mehrheit der Anwaltschaft, noch insbesondere in der Richterschaft beim Bundesgerichtshof einen entsprechenden Rückhalt. Die Beibehaltung der Singularzulassung liegt letztlich im Interesse der BGH-Anwaltschaft und vor allem auch im Interesse der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs, der immer wieder nachdrücklich für die Beibehaltung der Singularzulassung beim Bundesgerichtshof votiert.

Natürlich kann man mir als beim Bundesgerichtshof zugelassenem Anwalt vorwerfen, ich spräche pro domo. Das ändert aber nichts daran, dass bei aller unterstellten Parteilichkeit richtig bleibt: Die Beibehaltung der Singularzulassung sichert die Rechtsfortbildung und die Funktionsfähigkeit des höchsten deutschen Zivilgerichts, schadet der Anwaltschaft insgesamt mit Sicherheit nicht, hilft bei einer kritischen Durchdringung revisionsrechtlicher Aspekte des jeweiligen Falles und dient damit gerade dem Interesse des Mandanten an umfassender und kompetenter rechtlicher Betreuung.