BauR 8/2016, Seite 1

Insolvenzabhängige Lösungsklauseln im Baurecht

 Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Kann der Bauherr nach § 8 Nr. 2 VOB/B im Falle eines Antrags auf Eigeninsolvenz durch den Bauunternehmer kündigen? In dieser – einer der am meisten umstrittenen – Fragen zur VOB hat der VII. Senat durch eine Entscheidung v. 07.04.2016 – VII ZR 56/15 Klarheit geschaffen und die Streitfrage sinnvoll gelöst. Das Berufungsgericht, OLG Frankfurt (BauR 2015, 1332) war der Meinung: Eine auf § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B (2009) gestützte Kündigung ist nicht möglich. Eine solche insolvenzbedingte Lösungsklausel verstoße gegen §§ 103, 119 InsO. Für diese in der Literatur verbreitete Auffassung hat das Berufungsgericht sich unter anderem auf eine Entscheidung des IX. Senats gestützt (v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NJW 2013, 1159). Nach dieser Entscheidung sind Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren und Energie, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen, nach § 119 InsO unwirksam. Ein großer Teil der Literatur hat diese Entscheidung auch ins Baurecht übertragen.

Vor diesem Hintergrund beklagt der Kommentator Claus Schmitz in Ingenstau/Korbion (19. Aufl. § 8 Nr. 2 VOB, Rdnr. 3 ff.) eine der griechischen Tragödie vergleichbare Situation: Er müsse eine von ihm als unwirksam angesehene Klausel, nämlich die zitierte Vorschrift aus der VOB kommentieren (Rdnr. 14).

Aus dieser tragischen Situation hat der VII. Senat den Kommentator befreit: Er kann und muss in Zukunft davon ausgehen, dass § 8 Nr. 2 VOB/B, jedenfalls im Falle des Eigeninsolvenzantrags des Unternehmers, wirksam ist.

Nach Auffassung des BGH geht es in der Tat um eine insolvenzabhängige Lösungsklausel. Das ist nicht ohne Weiteres selbstverständlich. Denn der Verwalter findet im Falle eines Eigenantrags des Gemeinschuldners bereits einen gekündigten Vertrag vor. Aber unabhängig davon: Anders als bei der Lieferung von Energie handelt es sich beim Bauvertrag um einen langfristigen durch die Kooperationspflicht geprägten Vertrag, der ohnehin nach § 649 BGB und im VOB-Bauvertrag auch nach § 8 Abs. 1 VOB/B gekündigt werden kann. Der Bauvertrag ist nicht vergleichbar mit Verträgen über die Lieferung von Energie. Die Lösungsklauseln beim Energielieferanten liegen ganz anders. Dort will sich der Energielieferant durch Lösung vom Vertrag Druckmittel zur Durchsetzung höherer Preise verschaffen und beim vorläufigen Insolvenzverwalter einen neuen Abschluss durchsetzen.

Anders beim Bauvertrag: Die Insolvenz des Auftragnehmers führt im Gegensatz zur Insolvenz des Käufers von Energie zu einer zeitlich kaum absehbaren Phase der Ungewissheit zwischen Insolvenzantrag und Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter. In vielen Fällen ist längst klar, dass der Vertrag von Seiten des Insolvenzverwalters gar nicht mehr erfüllt werden kann. Dennoch vergeht bis zur Ausübung des Wahlrechts oft unabsehbar lange Zeit. Dadurch entstehen Baustillstand und in der Folge unter Umständen ein Dominoeffekt mit der Gefahr der Insolvenz sämtlicher Subunternehmer. Der Bauvertrag ist als Langzeitvertrag besonders auf wechselseitige Kooperation angewiesen (BGH, Urt. v. 28.10.1999 – VII ZR 393/98, BauR 2000, 409).

Der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Senat, der die insolvenzbedingte Lösungsklausel im Energielieferungsrecht für unwirksam gehalten hat, neigt grundsätzlich stark dazu, den Grundsatz der Massenerhaltung und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung in den Vordergrund zu stellen. Zufällig deckt sich das auch mit dem eigenen Interesse der Insolvenzverwalter auf Vermögensvermehrung. Im Baurecht kann jedoch die Gläubigerbefriedigung gegenüber dem Kooperationsgrundsatz nicht vorrangig sein. Der VII. Senat hat deshalb überzeugend ausgeführt: Die Besonderheit des auf langfristige Kooperation angelegten Bauvertrages verbietet eine Übertragung der Rechtsprechung des Insolvenzsenats zur Unwirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln auf das Baurecht.

Sowohl das in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) vereinbarte Kündigungsrecht für den Fall des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers als auch die in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) vereinbarten Rechtsfolgen dieses Kündigungsrechts sind – so der VII. Senat – mit §§ 103, 119 InsO zu vereinbaren. Denn durch seinen eigenen Insolvenzantrag zerstört der Auftragnehmer in der Regel das für die Fortführung des Bauvertrags erforderliche Vertrauensverhältnis. Die Kündigung des Auftraggebers erfolgt in diesem Fall daher aus wichtigem Grund.

Der Entwurf des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, BT-Drucks. 123/16, am 22.04.2016 in der Sitzung des Bundesrats mit Änderungsvorschlägen geprüft und von der Bundesregierung am 18.05.2016 in den Bundestag eingebracht (BT-Drucks. 18/8486), regelt die Kündigung aus wichtigem Grund in § 648a des Entwurfs und betont den Kooperationsgedanken: Der Bauvertrag ist auf längere vertrauensvolle Zusammenarbeit der Vertragsparteien ausgelegt und darauf angewiesen. Deshalb kann unter bestimmten Umständen eine Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zumutbar sein. Der Entwurf sieht zwar keinen speziellen Kündigungstatbestand für den Fall der Insolvenz des Unternehmers vor, betont jedoch, dass diese in der Praxis häufig einen wichtigen Grund zur Beendigung des Werkvertrags darstellen wird (S. 51). Er hält damit offensichtlich insolvenzbedingte Lösungsklauseln für wirksam.

Zutreffend verweist der Bausenat des BGH, dessen Entscheidung in die gleiche Richtung zielt, schließlich in seiner Entscheidung noch auf Folgendes: Die genannten Kündigungsregelungen verstoßen nicht gegen § 307 Abs. 1, 2 BGB. Denn die Klausel des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/B (2009) mit dem außerordentlichen Kündigungsrecht im Falle des Eigeninsolvenzantrags regelt nicht die Rechtsfolgen eines freien Kündigungsrechts, sondern eines solchen aus wichtigem Grund. Der Eigeninsolvenzantrag des Bauunternehmers zerstört die Kooperationsbasis und führt daher zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht.

Die sorgfältig begründete Entscheidung des VII. Senats schafft Rechtsklarheit in einer der bislang am meisten umstrittenen Rechtsfragen im Baurecht. § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB ist, jedenfalls soweit ein außerordentliches Kündigungsrecht an den Eigeninsolvenzantrag des Bauunternehmers angeknüpft wird, wirksam. Damit ist den Kommentatoren die Last von den Schultern genommen, sich mit einer für unwirksam gehaltenen Klausel auseinandersetzen zu müssen.