Legal Tribune online, Mai 2010, www.lto.de

Elektronischer Rechtsverkehr

Die Justiz im Elfenbeinturm.

Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

 

Die Justizverwaltungen von Bund und Ländern rühmen sich ihrer Fortschrittlichkeit. Die Ärmelschoner seien abgelegt. Auch die Gerichte verschlössen sich dem technischen Fortschritt nicht. Ein Bochumer Richter wehrte sich aber nun dagegen, am Bildschirm tätig zu sein oder Dokumente ausdrucken zu müssen. Und bekam Recht. Prof. Dr. Ekkehart Reinelt sieht das Ansehen der Justiz insgesamt bedroht.

Die Einführung des elektronischen Handelsregisters wird zu Recht als Fortschritt für Bürger und Justiz betrachtet. Die Verfahrensabläufe werden beschleunigt. Die Justizverwaltung spart Personal. Dieses System, das auf papierloser Aktenbearbeitung beruht, läuft natürlich nur dann störungsfrei, wenn sich keiner der Beteiligten verweigert.

Die einzige Dienstgruppe, die rechtlich in der Lage ist, Sand ins Getriebe zu streuen, sind die Richterinnen und Richter.

Einer von ihnen hat nun Ernst gemacht. Er hat den Standpunkt vertreten, ihm als Richter sei es nicht zumutbar, am Computerbildschirm tätig zu sein. Auch könne von ihm nicht verlangt werden, die Akten auszudrucken, um auf Papier zu arbeiten. Schon die Bedienung des Druckerknopfs sei ihm als reine Hilfstätigkeit nicht zumutbar.

Ein derartiges Ansinnen - so der Richter - verletze die richterliche Unabhängigkeit, erhöhe sein Haftungsrisiko und verlängere die zeitliche Dauer seines Arbeitseinsatzes.

Die Argumentation liegt zwar auf einer etwas anderen Ebene, erinnert mich aber an eine Anwaltsgehilfin, die ich als Instanzanwalt früher einmal eingestellt hatte. Diese vertrat die Auffassung, einer ausgebildeten Anwaltsgehilfin sei (neben ihrer beruflichen Tätigkeit) Kaffeekochen nicht zumutbar.

Richterliche Unabhängigkeit verträgt keine Druckerknöpfe

Ähnlich denken offenbar der erwähnte Richter und das Dienstgericht am OLG Hamm (1 DGH 2/08). Beide sehen die richterliche Unabhängigkeit erschüttert, wenn die Amtsführung eines Richters die Betätigung des Druckerknopfes erfordert.

Dieser vom OLG Hamm aufgestellte Leitsatz lässt sich natürlich auf sämtliche Tätigkeiten des richterlichen Dienstes erweitern. Das Recht auf Obstruktion - hergeleitet aus einem Missbrauch des Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit - wird zum Leitprinzip. Das ist geeignet, das Ansehen der Justiz insgesamt in einer Weise zu schädigen, die durch Tage der offenen Tür und bürgerfreundliche Informationsbroschüren nicht kompensiert werden kann.

Die Einstellung des Richters (und die Entscheidung des OLG Hamm) lassen auf ein problematisches Rollenverständnis schließen. Macht das Beispiel Schule, können die Justizverwaltungen jegliche Modernisierungsmaßnahmen vergessen. Sie müssen ihre durch moderne Kommunikationsmittel gebotene Weiterentwicklung sorgfältig um den Elfenbeinturm der angeblich im Kernbereich verletzten richterlichen Unabhängigkeit herum konstruieren.

Es ist außerordentlich bedauerlich, dass solche Beispiele die aus gutem Grund gewährleistete richterliche Unabhängigkeit - sicherlich ein essentiale des Kernbereichs richterlicher Tätigkeit - beschädigen. Diese Unabhängigkeit ist das Recht des Bürgers, nicht des Richters. Man sollte sie nicht zum Gespött der Öffentlichkeit machen.

Haftungsrisiko und Überlastung: Weder erkennbar noch plausibel

Was ist von den weiteren Argumenten des Richters zu halten: Erweiterung des Haftungsrisikos und Verlängerung der Dauer des Arbeitseinsatzes?

Beide Argumente sind wenig überzeugend: Warum sich das ohnehin nur in den engen Grenzen des § 839 BGB, Art. 34 GG bestehende Haftungsrisiko durch Arbeit am Bildschirm erhöhen sollte (Rückgriff des Staates nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, Art. 34 Abs. 1 Satz 2 GG), ist nicht erkennbar.

Die Behauptung einer dadurch eintretenden Überlastung ist - unabhängig von der grundsätzlich fragwürdigen Mär von der Überlastung von Richtern (vgl. dazu Reinelt, ZAP-Kolumne 2010 S. 243: "Überlastung der Richter im Zivilprozess?") - ebenso wenig plausibel.