jurisPR-BGHZivilR 3/2015 Anm. 1

Stufenweise Beauftragung des Architekten und intertemporale Anwendbarkeit der HOAI
BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 18.12.2014 - VII ZR 350/13
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Zur intertemporalen Anwendbarkeit der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (2009) bei stufenweiser Beauftragung eines Architekten.

A. Problemstellung
Stufenverträge zwischen Bauherr und Architekten kommen in der Praxis häufig vor. Wenn ein solcher Stufenvertrag geschlossen wird und sich im Laufe der Architektentätigkeit die HOAI ändert – in der Vergangenheit ist das häufiger geschehen (HOAI 1996/2002/2009/2013) – stellt sich die Frage, welche Fassung der HOAI auf die jeweiligen Leistungen anwendbar ist und nach welcher Regelung sich das Architektenhonorar bestimmt. Mit dieser häufig diskutierten Frage befasst sich die hier besprochene Entscheidung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Bauherr beauftragte für die Neugestaltung des Außenbezirks eines Wasser- und Schifffahrtsamtes den Architekten mit Generalplanervertrag vom 26.05.2009 für die Erbringung von Architektenleistungen unter der noch geltenden Fassung der HOAI 2002. Der Vertrag enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

„Für die Neuerrichtung der Gebäude ist die komplette Planung entsprechend den Leistungsphasen 1-8 des § 15 HOAI zu erbringen. Es ist vorgesehen im ersten Schritt die Leistungsphasen 1-4 (Phase I) zu beauftragen. Die Beauftragung der Leistungsphasen 5-8 (Phase II) erfolgt optional nach erfolgter Genehmigung des Bauvorhabens durch die vorgesetzte Dienststelle Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest.“

Weiter heißt es in den Vertragsunterlagen:

„Der Auftraggeber beabsichtigt, dem Auftragnehmer bei Fortsetzung der Planung und Ausführung der Baumaßnahme weitere Leistungen nach Ziff. 3.2 – einzeln oder im Ganzen – zu übertragen, wenn die bisherigen Leistungen zur Zufriedenheit des Auftraggebers erbracht worden sind und eigenes Personal nicht zur Verfügung steht. Die Übertragung erfolgt schriftlich.

Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die weiteren Leistungen zu erbringen, wenn sie ihm vom Auftraggeber innerhalb von 24 Monaten nach Fertigstellung der Leistungen nach Ziff. 3.1 übertragen werden.

Der Auftraggeber behält sich vor, die Übertragung auf einzelne Abschnitte der Baumaßnahme zu beschränken. Ein Rechtsanspruch auf die Übertragung der Leistungen nach Ziff. 3.2 besteht nicht.

Aus der stufenweisen Beauftragung kann der Auftragnehmer keine Erhöhung seines Honorars ableiten.

Wenn dem Auftragnehmer die Leistungen nach Ziff. 3.2 nicht innerhalb von 24 Monaten nach Fertigstellung der Leistungen nach Ziff. 3.1 übertragen werden, kann der Auftragnehmer den Vertrag aus wichtigen Gründen kündigen, ohne dass dem Auftraggeber wegen der Kündigung ein Schadensersatz zusteht.“

Der Architektenvertrag regelt weiter, dass die Mindestsätze der Honorartafeln der HOAI 2002 gelten sollen.

Nach Abschluss der Phase I verlangte der Architekt im Jahre 2011 für erbrachte Leistungen der Phase II Vergütungen auf der Basis der Neufassung der HOAI 2009, die am 18.08.2009 in Kraft getreten ist.
Er verlangt mit der Zahlungsklage die Differenz des Mehrbetrags, die sich aus der Anwendung der neuen HOAI-Honorartafeln ergibt und macht mit einer Zwischenfeststellungsklage die Feststellung geltend, dass für die nach dem 17.08.2009 abgerufenen Architektenleistungen die Regelungen der HOAI in der Fassung vom 11.08.2009 anzuwenden sind.

Die Vorinstanzen hatten der Zahlungsklage stattgegeben. Auf die Revision des Bauherrn hat der VII. Zivilsenat das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit zur Verhandlung über den Zahlungsantrag zurückverwiesen. Soweit die Revision zurückgewiesen wird, bestätigt der BGH die Entscheidung über die Zwischenfeststellungsklage.

Die Zurückweisung in Bezug auf die Zahlungsklage beruht darauf, dass eine Mindestsatzberechnung des Architekten nach den Vorgaben der HOAI 2009 fehlt und dies in der Tatsacheninstanz nachzuholen ist. Soweit die Revision zurückgewiesen, also das Berufungsurteil bestätigt wird, spricht der BGH das zentrale Problem der Entscheidung an: die Frage, ob bei der vorliegenden Vertragsgestaltung der stufenweisen Beauftragung für die Phase II die neuen Vorschriften der HOAI in der Fassung vom 18.08.2009 oder die frühere Fassung aus dem Jahre 2002 angewendet werden muss.

Der BGH hat die sich damit stellende Frage der intertemporalen Anwendbarkeit der HOAI bei entsprechenden Änderungen während eines Stufenvertrages mit der besprochenen Entscheidung nochmals klargestellt. Danach gilt Folgendes:

Entscheidend ist die Frage, wann der Vertragsschluss über die Leistungen (hier der Phase II) erfolgt ist. Nach dem Vertragstext lag hinsichtlich der Leistungen des Architekten zwar ein befristet bindendes Angebot des Architekten vor. Die Annahme zu einem späteren Zeitpunkt hatte sich die Beklagte jedoch nach ihrer freien Entscheidung vorbehalten. Damit ist eine feste Bindung des Bauherren hinsichtlich der Beauftragung des Architekten gerade nicht gewollt, der Bauherr hat vielmehr nur „beabsichtigt“, dem Kläger weitere Leistungen der Leistungsphasen 5-8 einzeln oder im Ganzen zu übertragen. Diese Auslegung des Berufungsgerichts ist für das Revisionsgericht bindend. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urt. v. 26.06.2014 - VII ZR 289/12 - BauR 2014, 1773 = NZBau 2014, 555 Rn. 13; BGH, Urt. v. 12.09.2013 - VII ZR 227/11 - BauR 2013, 2017 = NZBau 2013, 695 Rn. 11).

Der Senat verweist darauf, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei, wann bei einer stufenweisen Beauftragung eine Leistung vertraglich vereinbart ist. Nach einer Auffassung ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Ausgangsvertrags auch für die erst später zu beauftragenden Leistungen maßgebend, wenn mit dem Vertrag die Leistungen der weiteren Stufen und das hierfür geschuldete Honorar bereits festgelegt werden (Korbion in: Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 8. Aufl., § 55; Irmler/Irmler, HOAI-Praktikerkommentar, 1. Aufl., § 55 Rn. 7 ff.; Messerschmidt in: Festschrift Koeble, S. 393, 394; Jochem, Jahrbuch BauR 2010, 291, 343; Deckers, Die neue HOAI in der Praxis, Rn. 1139).

Nach einer Gegenansicht kommt es auf den Zeitpunkt der späteren Beauftragung an (Koeble in: Locher/Koeble/Frik, HOAI, 11. Aufl., § 55 Rn. 3; Werner in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 15. Aufl., Rn. 611, 694, zu § 57 HOAI (2013); Rohrmüller in: Löffelmann/Fleischmann, Architektenrecht, 6. Aufl., Kap. 36 Rn. 63; Voppel, BauR 2014, 1349; Eschenbruch/Legat, BauR 2014, 772, 773 f., zu § 57 HOAI (2013); Fuchs/Berger/Seifert, NZBau 2014, 9, 16, zu § 57 HOAI (2013); Motzke, NZBau 2013, 742, 743, zu § 57 HOAI (2013); Grams/Weber, NZBau 2010, 337, 340; Werner, BauR 1992, 695, 698, zur HOAI 1991).

Dieser letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat an und arbeitet die Unterschiede deutlich heraus. Die Überleitungsvorschrift des § 55 HOAI 2009 lautet:

„Die Verordnung gilt nicht für Leistungen, die vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden; insoweit bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar.“

Diese Regelung knüpft an die vertragliche Vereinbarung der Leistungen und dementsprechend letztlich, wie auch § 103 Abs. 2 HOAI a.F. an den Abschluss des Vertrags über die Leistungen an. Entscheidend ist damit die verbindliche Einigung über die später zu beauftragenden Leistungen. Wenn – wie hier – der Bauherr sich die Vergabe der weiteren Leistungen vorbehält, also selber vertraglich noch nicht strikt gebunden ist, kann nur die Fassung der HOAI maßgebend sein, die bei der entsprechenden Beauftragung der Stufe gilt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn von Anfang an eine verbindliche Stufenvereinbarung getroffen ist, die beide Parteien bindet und es lediglich noch eines Abrufs der Leistungen in einer weiteren Phase bedarf (vgl. hierzu im Einzelnen Nossek/Heiliger, NJW 2014, 821; Eschenbruch/Legat, BauR 2014, 772).

C. Kontext der Entscheidung
Bereits in früheren Jahren hat der BGH sich mit Verträgen befasst, die eine stufen- oder abschnittsweise Beauftragung von Planungsleistungen zum Gegenstand haben. In einem Urteil vom 27.11.2008 (VII ZR 211/07 - NJW-RR 2009, 447) hatte der VII. Zivilsenat entschieden, die bei stufenweiser Beauftragung des Architekten schriftlich getroffene Honorarvereinbarung über später zu erbringende Leistungen werde mit dem Abruf dieser Leistungen wirksam.

Auch in diesem Fall hatte der Bauherr die freie Entscheidung, ob die Fortsetzung der Planung und Durchführung der Baumaßnahmen dem Architekten im Einzelnen oder im Ganzen übertragen wurde. Ein Rechtsanspruch bestand nicht. Zutreffend wird bereits in dieser Entscheidung festgehalten, dass erst der Abruf maßgebend ist und daher die zum Abruf der Leistung maßgebenden Vorschriften einschlägig sind.

Das Problem des Übergangs von der alten auf die neue HOAI bei Stufenverträgen wird man in allen Fällen wie folgt lösen müssen:

Erfolgt eine stufenweise Beauftragung des Ingenieurs oder Architekten unter der aufschiebenden Bedingung tatsächlicher späterer Auftragserteilung, hängt die endgültige beiderseitige Verpflichtung von diesem Abruf oder der Bedingung ab. Dann ist die zum Zeitpunkt des Abrufs gültige HOAI maßgebend. Lediglich dann, wenn alle Leistungen verbindlich zum früheren Zeitpunkt übertragen und beauftragt sind, gilt die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgebende HOAI (vgl. hierzu im Einzelnen Eschenbruch/Legat, BauR 2014, 772; Nossek/Heiliger, NJW 2014, 821).

D. Auswirkungen für die Praxis
Das Problem der stufenweisen Beauftragung und der anwendbaren Vorschriften stellt sich bei jeder Änderung der HOAI, zuletzt bei Inkrafttreten der Neufassung am 17.07.2013. Die intertemporäre Gültigkeit der jeweiligen Fassung beschränkt sich nicht nur auf die Honorartafeln der jeweils geltenden HOAI. Es kann beispielsweise auch ein in der ersten Phase vereinbarter Umbauzuschlag eine Rolle spielen. Soll dieser auch für die zweite Phase gelten?

Ist die verbindliche Vereinbarung bereits von Anfang an getroffen, dann würde sich eine solche Vereinbarung auch auf die zweite Phase beziehen. Sollten jedoch die einzelnen Stufen rechtsgeschäftlich nach der Entscheidung des Bauherren sukzessive in Auftrag gegeben werden, kann die für die erste Stufe getroffene Vereinbarung nicht ohne weiteres auch für die folgenden Stufen gelten.

Es ist daher in der Praxis genau zu unterscheiden, ob Rahmenverträge geschlossen werden, in denen eine Vereinbarung zwischen Auftraggeber und Architekten für mehrere künftige Bauvorhaben getroffen wird (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., Rn. 12/31, 38), ob ein Vertrag unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen wurde oder schließlich ein Optionsvertrag, bei dem der Architekt bereits gebunden, der Bauherr in seiner Entscheidung jedoch frei ist oder ob bereits die erste Vereinbarung eine beiderseitige feste vertragliche Bindung herbeiführt. In allen Fällen ist jedenfalls zu prüfen, ob bereits im früheren Stadium beiderseits verbindliche vertragliche Vereinbarungen vorliegen, ob die Parteien von der Notwendigkeit weiterer Vertragsschlüsse ausgehen oder die Wirksamkeit der Beauftragung der Leistung lediglich von der dem Architekten mitzuteilenden Entscheidung über die Fortführung des Projekts abhängen soll. Nur wenn von Anfang an auch für den folgenden Bauabschnitt oder die folgende Stufe eine Bindung beider Parteien bewirkt ist, gelten ausschließlich die zum Zeitpunkt des früheren Vertragsabschlusses maßgebenden Regelungen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der Senat betont auch, dass das für öffentliche Auftraggeber geltende Vergaberecht und die Europäischen Richtlinien nicht zu einer anderen Beurteilung führen (Rn. 25). Diese Vorschriften erkennen – so der VII. Zivilsenat – den zwingenden Charakter des Preisrechts als vorrangig an (Müller-Wrede, VOF, 5. Aufl., § 11 Rn. 88; Weyand, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOF Rn. 8231 f.).

Im vorliegenden Fall enthielt die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Honorarermittlung des Klägers keine nachvollziehbare Mindestsatzberechnung auf der Basis der HOAI 2009. Diese tatsächliche Feststellung muss nach Zurückverweisung des Verfahrens in Bezug auf den Zahlungsantrag in der neu eröffneten Berufungsinstanz nachgeholt werden.

Schließlich befasst sich die Entscheidung noch mit der Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO. Da die tatsächlichen, einen Leistungsbefehl tragenden Feststellungen nicht in materieller Rechtskraft erwachsen und die Beurteilung vorgreiflicher Rechtsverhältnisse für die Beurteilung weiterer Fragen wichtig sein können, ermöglicht § 256 Abs. 2 ZPO dem Kläger die Herbeiführung eines rechtskräftigen Ausspruches auch über die den Zahlungsantrag tragenden Rechtsgründe in Rechtskraft (Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 256 Rn. 21, m.w.N.). Der Kläger hatte dementsprechend mit seinem Antrag die Feststellung begehrt, dass er für die Leistungen der Leistungsphase II (5-8) ein Honorar mindestens in Höhe der Mindestsätze der HOAI 2009 beanspruchen kann. Dieses Begehren auf Feststellung eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses ist zulässig (§ 256 Abs. 2 ZPO). Deswegen bestätigt der BGH unter Zurückweisung der Revision insoweit das Berufungsurteil.