jurisPR-BGHZivilR 7/2014 Anm. 1

Verhältnis zwischen Wohnungseigentümergemeinschaft und einzelnem Erwerber bei der Geltendmachung von Gemeinschaftsmängeln
BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 06.03.2014 - VII ZR 266/13
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
1. Hat eine Wohnungseigentümergemeinschaft durch Beschluss die Ausübung gemeinschaftsbezogener Gewährleistungsrechte wegen Mängeln an der Bausubstanz an sich gezogen, ist die fristgebundene Aufforderung zur Beseitigung der betreffenden Mängel mit Ablehnungsandrohung seitens eines einzelnen Wohnungseigentümers unwirksam, wenn diese mit den Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft kollidiert.
2. Das kann der Fall sein, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft in dem Zeitpunkt, in dem der einzelne Wohnungseigentümer die Mängelbeseitigung verlangt, diese nicht zulässt, weil sie eine weitere Klärung der gebotenen Mängelbeseitigungsmaßnahmen für erforderlich hält.

A. Problemstellung
Wann liegt zwischen Erwerber und Wohnungseigentümergemeinschaft ein Interessengegensatz vor, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft die Geltendmachung von Gemeinschaftsmängeln an sich gezogen hat? Wie ist ein solcher Interessengegensatz aufzulösen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der klagende Wohnungseigentümer verlangt vom beklagten Bauträger im Wege des großen Schadensersatzes die Rückabwicklung eines Vertrages über den Erwerb einer Eigentumswohnung. Der notarielle Erwerbsvertrag wurde vor Errichtung der Anlage im Jahre 1996 abgeschlossen, das in unmittelbarer Nähe eines Flusses gelegene Bauwerk im Jahre 1996 fertiggestellt.

Bereits seit Ende der Neunzigerjahre rügte die Wohnungseigentümergemeinschaft gegenüber dem Bauträger Schallschutzmängel und Feuchtigkeit in der Tiefgarage. Sie hat wegen beider Mängel jeweils ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet. Diese Verfahren liefen im Jahre 2007 noch.

In einer Wohnungseigentümerversammlung vom 09.07.2007 hat die Gemeinschaft die Geltendmachung der in den Beweisverfahren gerügten Schallmängel und Feuchtigkeitsmängel der Tiefgarage beschlossen. In beiden Fällen sollten Vergleichsverhandlungen fortgesetzt, im Falle des Scheiterns Klage auf Kostenvorschuss erhoben werden. Bei den Feuchtigkeitsmängeln der Tiefgarage sollte vor Durchführung der Mängelbeseitigung Kontakt mit dem Sachverständigen aufgenommen werden, um die Modalität der Mängelbeseitigung zu klären.

Sieben Tage nach diesem Beschluss setzte der Kläger als Einzelerwerber unter Bezugnahme auf die Feststellungen in beiden selbstständigen Beweisverfahren eine Frist von etwa einem Monat zur Beseitigung der Mängel. Nach fruchtlosem Fristablauf kündigte er die Geltendmachung der ihm durch die Nichterfüllung des Vertrages entstehenden Ansprüche an und klagte gut einen Monat später auf großen Schadensersatz.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft unternahm zunächst nichts. Einen Monat nach Ablauf der vom Erwerber gesetzten Frist, im September 2007, beantragte sie im selbstständigen Beweisverfahren zu den Feuchtigkeitsmängeln die Ergänzung des Gutachtens zur Klärung der Kosten und Art und Weise der Mängelbeseitigungsmaßnahmen. Insbesondere beantragte sie, dem Sachverständigen aufzugeben, die jeweiligen Mängelbeseitigungsmaßnahmen und Kosten zu ermitteln.

Das Erstgericht hat der Klage des Erwerbers stattgegeben. Erfüllungsansprüche und Gewährleistungsansprüche des einzelnen Miteigentümers könnten nicht durch Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft beschränkt werden; es handle sich um Individualrechte des Erwerbers. Zwar könne die WEG gemeinschaftsbezogene Ansprüche an sich ziehen, das beschränke aber nicht das Recht des einzelnen Erwerbers, großen Schadensersatz zu verlangen.

Die von der Beklagten eingelegte Berufung war erfolgreich: Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Es vertritt die Auffassung, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückabwicklung des Erwerbsvertrags und Ersatz der entstandenen Schäden nach (den insoweit anwendbaren alten Vorschriften) §§ 631, 635, 633, 634 BGB zu. Es fehle an einer wirksamen Fristsetzung zur Nachbesserung (zum Berufungsurteil äußert sich Eilers, IBR 2014, 89).

Eine Nachfristsetzung sei nicht entbehrlich, denn die in Rede stehenden Mängel seien behebbar gewesen. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf den Schallschutz, sondern insbesondere auch hinsichtlich der Ausführungsmängel in der Tiefgarage. Zwar sei die Tiefgarage zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht dicht gewesen, das hätte aber nachgebessert werden können. Keinen Mangel stellten – entgegen der Auffassung des Erwerbers – die sogenannten Flutöffnungen dar, die – obwohl in der ursprünglichen Planung nicht vorgesehen – das Gebäude bei außergewöhnlichem Hochwasser vor Auftrieb in Flussnähe schützen. Sie ermöglichen ein Eindringen von Wasser in den Keller, das dann abgepumpt wird. Als Sicherungsmaßnahmen wegen des Standorts des Gebäudes in der Nähe eines Flusses seien sie (bei Fehlen einer absoluten Wasserdichtigkeit durch weiße Wanne) notwendig.

Nachdem die Baubeschreibung keine wasserdichte weiße Wanne vorgesehen habe (die ihrerseits keine Drainage und Flutöffnungen benötigt), habe der Erwerber die Lösung mit den Flutöffnungen und der Drainage der Tiefgarage hinnehmen müssen (ungeachtet seines selbstverständlich bestehenden Anspruchs auf fachgerechte Ausführung und Nachbesserung).

Sein Nachbesserungsverlangen sei grundsätzlich auch mit angemessener Frist versehen. Es sei jedoch deshalb nicht wirksam, weil der Kläger Mängel rügt, die das Gemeinschaftseigentum betreffen. Im vorliegenden Fall gerate er damit in Widerspruch zu den Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Berufungsgericht erklärt: Es verkenne nicht, dass die dargelegte Bewertung zu einer erheblichen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Erwerbers in Bezug auf seine Rechte aus dem Erwerbsvertrag führt. Diese Gefahr sei aber dem Erwerbsgegenstand immanent, weil der Kläger kein freistehendes Einfamilienhaus, sondern eine Eigentumswohnung erworben habe und als Mitglied der Gemeinschaft bei einem unauflösbaren Interessenkonflikt sich der Wertung der Wohnungseigentümergemeinschaft unterordnen müsse.

Der VII. Zivilsenat ist der Auffassung, dass diese Argumentation revisionsrechtlicher Prüfung standhält.

Die Schallmängel waren zum Zeitpunkt der Revisionsverhandlung erledigt und nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Was die Frage des Mangels in Bezug auf eine ggf. geschuldete wasserdichte Konstruktion angeht, bewege sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Vertragsauslegung, in die revisionsrechtlich nicht eingegriffen werden kann. Die Vertragsauslegung kann – wie der BGH wiederholt – nur bei Verletzung von Auslegungsregeln, Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und Verfahrensvorschriften korrigiert werden (st. Rspr., BGH, Urt. v. 19.08.2010 - VII ZR 113/09 - BauR 2010, 2101 Rn. 15). Solche Fehler seien in der Auslegung nicht erkennbar. Tatrichterlich unangreifbar habe das Berufungsgericht die Art und Weise der Ausführung (keine weiße Wanne, nicht absolute Wasserdichtigkeit) als vertragsgerecht anerkannt und die bestehenden Mängel für nachbesserungsfähig gehalten.

Die für den Fall entscheidende Frage der Priorität der Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegenüber denjenigen des Erwerbers behandelt der BGH in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht. Die Wohnungseigentümer können im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeinschaftseigentums gemäß § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG die Ausübung der Mängelrechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums an sich ziehen (so bereits BGH, Urt. v. 19.08.2010 - VII ZR 113/09 - BauR 2010, 2101; Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 20/2010 Anm. 1). Damit wird die Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft für die Durchsetzung des Mängelbeseitigungsanspruchs begründet (BGH, Urt. v. 12.04.2007 - VII ZR 236/05 - BGHZ 172, 42 Rn. 20 f.). Zwar bezieht diese Zuständigkeit sich nicht auf das Recht der einzelnen Wohnungseigentümer, großen Schadensersatz zu verlangen, den Erwerbsvertrag zu wandeln oder von ihm zurückzutreten (so bereits BGH, Urt. v. 19.08.2010 - VII ZR 113/09 - BauR 2010, 2101, Rn. 22). Dieses Recht verbleibt dem Erwerber. Allerdings ist der Erwerber – so wiederholt der BGH seine Ausführungen aus der Entscheidung vom 19.08.2010 – nur berechtigt, seine individuellen Ansprüche aus dem Vertrag mit dem Veräußerer selbstständig zu verfolgen, soweit und solange durch sein Vorgehen gemeinschaftsbezogene Interessen der Wohnungseigentümer oder schützenswerte Interessen des Veräußerers nicht beeinträchtigt sind.

Anders als in der früheren Entscheidung, in der der BGH wegen eines von ihm angenommenen Gleichlaufs das Vorgehen von Erwerber und Wohnungseigentümergemeinschaft nicht gesehen hat, geht der VII. Zivilsenat im vorliegenden Fall von einer derartigen konträren Lage aus: Der Kläger habe sofort Durchführung von Nachbesserung innerhalb der von ihm gesetzten Frist ohne Einschränkungen verlangt. Demgegenüber wollte die Wohnungseigentümergemeinschaft die Vornahme von Mängelbeseitigungsmaßnahmen in der Tiefgarage zunächst nicht. Es ging dieser mit zeitigem Vorrang um Verhandlungen und um Vorabklärung, welche Mängelbeseitigungsarbeiten nachhaltigen Erfolg bringen konnte. Insoweit sei der Streitfall entgegen der Auffassung des Erwerbers signifikant anders gelagert als derjenige, der dem früheren Urteil vom 19.08.2010 zugrundelag.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH ist ein weiterer Mosaikstein im Muster der Abgrenzung der Rechte von Wohnungseigentümergemeinschaft und Erwerber, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft die entsprechenden Rechte hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums an sich gezogen hat. Sie betont erneut die Priorität der Entscheidungen der Wohnungseigentümergemeinschaft und konkretisiert, wann von Interessengegensätzen zwischen Erwerber und Wohnungseigentümergemeinschaft gesprochen werden muss. Selbst wenn beide letztlich die gleiche Rechtsfolge, nämlich Mängelbeseitigung durchsetzen wollen, besteht – so der BGH – ein Interessengegensatz, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft, der Mängelbeseitigung vorgeschaltet, zunächst verhandeln und weitere Klärungen (Art und Weise der Nachbesserung, Kosten) herbeiführen will. Dann kann der Erwerber nicht sofort die von ihm postulierte Mängelbeseitigung durchsetzen. Die bereits vom Berufungsgericht aufgeworfene Kontrollfrage, ob ein Interessenwiderspruch zwischen der WEG insgesamt und dem einzelnen Erwerber gegeben ist, bejaht der VII. Zivilsenat also schon dann im Sinne der Wohnungseigentümergemeinschaft, wenn grundsätzlich dasselbe Ziel (Mängelbeseitigung) in Frage steht, jedoch der Weg dorthin (sofortiges unbedingtes Verlangen/Vergleichsverhandlungen oder vorherige Klärungen) unterschiedlich begangen wird.

Die Entscheidung erweitert die Priorität nicht nur in Bezug auf das Ziel, sondern auch in Bezug auf den Weg der Anspruchsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft.

Bezüglich des Interessengegensatzes verfährt der BGH also nach dem Prinzip: Schon der (unterschiedliche) Weg ist das (unterschiedliche) Ziel.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Klärung der Interessengegensätze zwischen Wohnungseigentümergemeinschaft und Erwerber ist von besonderer Bedeutung, weil der Bauträger natürlich nicht einer doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt sein darf. Nach der Rechtsprechung verbleibt dem einzelnen Erwerber der Anspruch auf großen Schadensersatz, den die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht an sich ziehen kann. Der Umstand, dass dieses Recht, auch soweit es mit Gemeinschaftsmängeln begründet wird, originär und ausschließlich dem Erwerber zusteht, darf aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, der Wohnungseigentümer könne dieses Recht unabhängig von Aktionen der Gemeinschaft stets durchsetzen. Wenn nämlich die Wohnungseigentümergemeinschaft eine bestimmte Art und Weise der Verfolgung von Gemeinschaftsmängeln beschlossen hat (das kann sich natürlich im Ergebnis nicht auf die Geltendmachung des großen Schadensersatzanspruchs eines einzelnen Erwerbers beziehen), ist der Erwerber gleichwohl nicht in der Lage, das ihm grundsätzlich verbleibende Recht auf großen Schadensersatz durchzusetzen, wenn die Art und Weise der Verfolgung der Gemeinschaftsmängel im Widerspruch zu einem Ziel oder einem Weg steht, den die Wohnungseigentümergemeinschaft bereits beschlossen hat.

Im Ergebnis bedeutet das: Dem Erwerber verbleibt unter Umständen nur in der Theorie das Recht zur Durchsetzung des großen Schadensersatzes. In der Praxis kann er durch den von der Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossenen Weg der Verfolgung von Gemeinschaftsmängeln (endgültig) blockiert sein.

Die eingangs (unter A.) gestellten Fragen sind nach der besprochenen Entscheidung des VII. Zivilsenats wie folgt zu beantworten:

Ein Interessengegensatz ist bereits anzunehmen, wenn Erwerber und Wohnungseigentümergemeinschaft dasselbe Ziel (Mängelbeseitigung) verfolgen, jedoch eine unterschiedliche Strategie in Bezug auf den Weg dorthin einschlagen.

Der Interessengegensatz ist wegen der Priorität der Entscheidungen der Wohnungseigentümergemeinschaft in deren Sinne zu lösen.

Auch nach der Entscheidung des VII. Zivilsenats kann man sich allerdings Fragen stellen:

- Ist es wirklich nur eine Frage der tatrichterlichen Vertragsauslegung, ob der Unternehmer (Bauträger) auch ohne Anhaltspunkte in der Baubeschreibung in der Nähe eines Flusses ein absolut wasserdichtes Kellergeschoss zu errichten hat, oder erfordert die Errichtung eines neuen Gebäudes in unmittelbarer Nähe eines Flusses (Rn. 17 des Besprechungsurteils) nicht auch unabhängig von den Vorgaben der Baubeschreibung einen strikt wasserdichten Keller (weiße Wanne), der das Abpumpen sonst eindringenden Wassers über Flutöffnungen erübrigt, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Bauwerks (Blockheizkraftwerk, BGH, Urt. v. 23.07.2009 - VII ZR 164/08)?

- Muss es im Ergebnis wirklich hingenommen werden, dass der Erwerber sein individuelles Recht auf Mängelverfolgung verliert, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft zwar dasselbe Ziel verfolgt, aber eine Klärung der Art und Weise der Mängelbeseitigung vorschalten will, dies angesichts des Umstands, dass der Weg der Mängelbeseitigung nicht von Erwerber/Gemeinschaft (Bauherren), sondern vom Unternehmer (Bauträger) bestimmt werden kann (BGH, Urt. v. 24.04.1997 - VII ZR 110/96 - BauR 1997, 638)?