jurisPR-BGHZivilR 19/2013 Anm. 1

Konkludente Abnahme der Architektenleistung

BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 26.09.2013 - VII ZR 220/12
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Die konkludente Abnahme einer Architektenleistung kann darin liegen, dass der Besteller nach Fertigstellung der Leistung, Bezug des fertiggestellten Bauwerks und Ablauf einer Prüfungsfrist von sechs Monaten keine Mängel der Architektenleistungen rügt (Fortführung von BGH, Urt. v. 25.02.2010 - VII ZR 64/09 - BauR 2010, 795 = NZBau 2010, 318).

A. Problemstellung
Wann kann man eine konkludente Abnahme einer Architektenleistung bejahen? Ist nach Fertigstellung des geplanten und errichteten Gebäudes eine weitere Handlung erforderlich oder genügt Zeitablauf?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger verlangen vom beklagten Architekten Schadensersatz wegen mangelhafter Planungs- und Überwachungsleistungen. Eine denkmalgeschützte Villa wurde saniert und nach Architektenplänen modernisiert. Der beklagte Architekt hat die Leistungsphasen 1 bis 3 sowie 5 bis 8 gemäß § 15 Abs. 2 HOAI in der Fassung der HOAI 1998 übernommen, also sämtliche Leistungen mit Ausnahme einer offenbar nicht notwendigen Genehmigungsplanung und der Dokumentation der Ziffer 9 nach der alten Fassung des § 15 HOAI (nunmehr § 3 Abs. 4 Ziff. 1 bis 3, 5 bis 8 HOAI 2009).

Ende 1998 zahlten die Kläger das Architektenhonorar. Die Sanierungsarbeiten waren im Juli 1999 abgeschlossen, das Gebäude wurde von Mietern bezogen. Bei einer Baubegehung wurden Restmängel protokolliert, die später beseitigt wurden. Die Denkmalschutzbehörde erklärte im Januar 2000 die behördliche Abnahme. Eine ausdrückliche Abnahme der Architektenleistungen fand nicht statt.

Nachdem im gewerblich genutzten Kellergeschoss Feuchtigkeitsschäden festgestellt worden waren, machten die Kläger Mängelbeseitigungskosten geltend und verlangten Ersatz entgangener Mieteinnahmen. Die darauf gerichtete Klage wurde dem Beklagten am 28.12.2005 zugestellt.

In erster Instanz hatten die Kläger zum Teil Erfolg. Das Erstgericht war der Auffassung, der Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf Verjährung berufen. Es ließ dahinstehen, ob und wann die Kläger die Architektenleistungen stillschweigend abgenommen hatten. Jedenfalls sei der Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Sekundärhaftung für die aufgetretenen Mängel verantwortlich.

Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht den Beklagten weitgehend zur Zahlung verurteilt. Hinsichtlich der unzureichenden Abdichtung des Kellergeschosses gegen Feuchtigkeit müsse er sich Planungs- und Überwachungsfehler vorwerfen lassen. Der Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB sei nicht verjährt; die fünfjährige Verjährungsfrist sei durch die am 28.12.2005 zugestellte Klage gehemmt worden. Eine Abnahme vor Ablauf des 28.12.2000 sei nicht erfolgt, auch nicht konkludent. Außerdem habe der Beklagte keine Detailplanung der von ihm vorgesehenen Abdichtungsmaßnahme erstellt, es existierten keine Planungsunterlagen, anhand derer die Kläger die Architektenleistungen hätten überprüfen können. Sie hätten nur abwarten können, ob die Abdichtungsmaßnahmen Erfolg haben. Unter diesen Umständen habe der Beklagte nicht vor Ablauf des Jahres 2000 von einer Billigung seiner Leistungen durch die Kläger ausgehen können.

Der BGH sieht das anders: Zwar kommen Schadensersatzansprüche des Beklagten nach § 635 BGB in Betracht. Auf die Verjährung des bei Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes noch nicht verjährten Schadensersatzanspruchs gemäß § 635 BGB findet in Folge der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. Anwendung (BGH, Urt. v. 24.02.2011 - VII ZR 61/10 - BauR 2011, 1032; BGH, Urt. v. 20.12.2012 - VII ZR 182/10 - BauR 2013, 596). Die maßgebliche fünfjährige Verjährungsfrist beginnt mit der Abnahme.

Jedoch habe das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Klageerhebung die Verjährung der Schadensersatzansprüche gehemmt habe. Der BGH beschäftigt sich ausführlich mit der konkludenten Abnahme. Erforderlich hierfür ist ein tatsächliches Verhalten des Auftraggebers, das geeignet ist, seinen Abnahmewillen dem Auftragnehmer gegenüber eindeutig und schlüssig zum Ausdruck zu bringen. Das beurteilt sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls. Jedoch: Eine konkludente Abnahme der Architektenleistung könne – so der VII. Zivilsenat – auch darin liegen, dass der Besteller nach Fertigstellung der Leistung und nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist nach Bezug des fertiggestellten Bauwerks keine Mängel der Architektenleistungen mehr rügt. Ähnlich hatte der Senat bereits früher entschieden (BGH, Urt. v. 25.02.2010 - VII ZR 64/09; BGH, Urt. v. 11.03.1982 - VII ZR 128/81 - BGHZ 83, 181, 189). Zwar kann der Architekt redlicherweise keine Billigung des Werks vor Ablauf einer angemessenen Prüffrist verlangen. Ein angemessener Zeitraum muss verstreichen. Der Bauherr muss auch feststellen können, ob das Bauwerk den vertraglichen Vorgaben entspricht und die Funktionen vollständig erfüllt. Dieser im Einzelfall zu bestimmende Zeitraum für die Prüfungsfrist darf aber unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Architekten den Zeitpunkt der konkludenten Abnahme nicht unangemessen nach hinten verschieben. Wenn – wie hier – der Beklagte seine Leistungen im Januar 2000 jedenfalls im Wesentlichen erfüllt hat, das Gebäude bezogen ist und weitere Leistungen oder Unterlagen von Seiten des Bauherren nicht mehr gefordert wurden, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die angemessene Prüfungsfrist im Dezember 2000 (also fünf Jahre vor der Klageerhebung) noch nicht abgelaufen war.

Der Senat will hier offenbar eine klare Grenze ziehen: Eine Prüffrist von nicht mehr als sechs Monaten muss ausreichen, um die Funktionstauglichkeit des Gebäudes zur prüfen und etwaige Mängel des Architektenwerks festzustellen. Geschieht nach Ablauf dieses Zeitraums nichts und werden auch keine weiteren Unterlagen oder Pläne verlangt, ist nach der Verkehrserwartung regelmäßig nicht mehr damit zu rechnen, dass der Besteller eines vergleichbaren Architektenwerks die Leistung als nicht vertragsgerecht zurückweist. Wenn in der Zeit keine Beanstandungen erhoben sind, muss man von konkludenter Abnahme ausgehen.

Die eingangs gestellte Frage bei der konkludenten Abnahme ist also wie folgt zu beantworten: Gegebenenfalls kommt eine konkludente Abnahme der Architektenleistung nach Fertigstellung des geplanten und errichteten Gebäudes auch ohne weitere Handlungen der Beteiligten durch Zeitablauf in Betracht, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Fertigstellung (der BGH nennt sechs Monate) keine weiteren Leistungen ausstehen und keine Beanstandungen erhoben werden.

Folgerichtig hebt der VII. Zivilsenat die Entscheidung auf und verweist an das Berufungsgericht zurück. Dieses hat von seinem Standpunkt aus keine Feststellungen zur Hemmung der Verjährung und zur Frage der Sekundärhaftung des Architekten getroffen. Diese Feststellungen muss das Berufungsgericht nach Zurückverweisung nachholen. Hierzu gibt der VII. Zivilsenat noch Segelanweisungen:

Die Sekundärhaftung des Architekten kommt grundsätzlich nur in Betracht bei vollständiger Einigung über das ganze Leistungsbilds des Architekten, also bei so genannter Vollarchitektur, nicht bei der Übertragung von Teilleistungen an den Architekten (vgl. dazu Reinelt/Pasker, BauR 2010, 983).

Allerdings muss – so betont der Senat – die Leistungsphase 9 (Dokumentation) nicht übertragen werden, um eine Sekundärhaftung auszulösen. Unschädlich ist es nach Auffassung des VII. Zivilsenats auch, dass der Architekt nicht mit der Leistungsphase 4 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. betreut worden ist, denn diese enthalte in erster Linie verwaltungstechnische Leistungen (Koeble in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., 12. Teil, Rn. 416). Die Anwendung der Grundsätze der Sekundärhaftung sei also hier grundsätzlich denkbar. Damit hat der VII. Zivilsenat noch keine Aussage über die nach wie vor in der Rechtsprechung offene Frage getroffen, ob unter Geltung des neuen Rechts bei Vertragsabschluss nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Sekundärhaftung noch gilt oder nicht (verneinend Reinelt/Pasker, BauR 2010, 983). Im vorliegenden Fall wurde der Architektenvertrag noch unter der Geltung des alten Rechts vor der Schuldrechtsmodernisierung abgeschlossen.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH zur konkludenten Abnahme dürfte nicht nur für das Recht des Architekten eine Rolle spielen, sondern auch allgemein für die konkludente Abnahme eines vom Unternehmer hergestellten Werkes Gültigkeit besitzen. Ersichtlich kommt es dem BGH darauf an, klare Grenzen in zeitlicher Hinsicht für eine mögliche konkludente Abnahme zu ziehen, auch dann, wenn es keine weiteren Handlungen der Parteien gibt, aus denen auf konkludente Abnahme nach Fertigstellung und Bezug geschlossen werden kann. Denn der Zustand – dass ein bereits voll genutztes und übergebenes Gebäude als nicht abgenommen gilt – kann nicht ad infinitum andauern. Auch wenn es sich hier um eine Frage des Einzelfalls handelt, wird man doch der Sechs-Monats-Frist, die der Senat in dieser Entscheidung etabliert hat, Beachtung schenken müssen.

Nach der Rechtsprechung des BGH gilt die Sekundärhaftung nach der alten Fassung der Haftung des Architekten nach § 638 BGB nur bei Übertragung des vollen Architektenbilds (nicht bei Sonderfachleuten, BGH, Urt. v. 28.07.2011 - VII ZR 4/10 - NJW 2011, 3086). Die zur Sekundärhaftung des Architekten entwickelten Grundsätze sind nicht auf einen Architekten anwendbar, der lediglich mit Teilaufgaben, in der folgenden Entscheidung mit den Aufgaben der Grundlagenermittlung bis Vorbereitung der Vergabe beauftragt ist (Leistungsphase 1 bis 6, § 15 Abs. 2 HOAI a.F., BGH, Urt. v. 23.07.2009 - VII ZR 134/08 - NJW 2009, 3360). Anknüpfungspunkt für die Sekundärhaftung des Architekten ist der übernommene Aufgabenkreis. Deswegen hat der Senat entschieden: Derartige Betreuungspflichten gibt es grundsätzlich nur bei der umfassenden Beauftragung des Architekten, mit der diesem eine zentrale Stellung bei Planung und Durchführung des Bauwerks eingeräumt wird (BGH, Urt. v. 23.07.2009 - VII ZR 134/08 Rn. 13, unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 27.09.2001 - VII ZR 320/00). Es ist allerdings zu beachten, dass von einer derart vollständigen Beauftragung auch dann ausgegangen werden kann, wenn die Genehmigungsplanung und die Dokumentation (früher § 15 Abs. 2 Ziff. 4 und 9 HOAI) nicht mit übertragen sind.

D. Auswirkungen für die Praxis
Wenn das Berufungsgericht die demnach grundsätzlich mögliche Sekundärhaftung prüft, muss überlegt werden, ob sie eventuell deshalb ausscheidet, weil der Bauherr möglicherweise selbst die erforderliche Sachkunde besitzt oder erklärt, einen sachkundigen Dritten (Rechtsanwalt, Sachverständigen) mit der Wahrung seiner Rechte wegen der Nachbesserung betrauen zu wollen (BGH, Urt. v. 22.01.1987 - VII ZR 88/85 - BauR 1987, 343, unter I. 4. c) aa); BGH, Urt. v. 27.01.2005 - VII ZR 158/03 - BGHZ 162, 86, 90). Eine Befreiung des Architekten von Beratungspflicht in solchen Fällen tritt aber nicht schon dann ein, wenn der Bauherr lediglich den Baumangel, hier in Gestalt von Feuchtigkeitsschäden, erkannt hat.

Sollte sich nach Zurückverweisung an das Berufungsgericht die Frage stellen, ob die Verjährung möglicherweise auch durch Verhandlungen zwischen den Parteien gehemmt war, muss die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast beachtet werden. Was die Einrede der Verjährung angeht, ist zwar grundsätzlich derjenige, der sie erhebt, im vorliegenden Fall also der Architekt, darlegungs- und beweispflichtig. Wer sich dann aber auf Hemmung beruft, muss seinerseits darlegen und beweisen, dass Hemmungstatbestände eingetreten sind. Es muss also der Anspruchsgegner den Ablauf der Verjährung, der Anspruchsteller dagegen den Eintritt der Hemmung, der Anspruchsgegner wiederum deren Beendigung nachweisen (BGH, Urt. v. 30.09.1993 - VII ZR 136/92 - BauR 1994, 103; BGH, Urt. v. 21.04.1977 - VII ZR 135/76 - BauR 1977, 348).