BauR 8 2012, Seite V editorial

 
 

Nutzen und Schaden von Schlagworten

Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Um komplizierte Sachverhalte einprägsam und knapp zu formulieren, greift man — auch im Baurecht — oft zu Schlagworten oder schlagwortartigen Formulierungen. Sie kennzeichnen eine Problematik prägnant, können aber auch in ihrer gewollten Vereinfachung problematisch sein. So verhält es sich mit der einen oder anderen Kurzformulierung, die der unter Leitung von Prof. Leupertz tagende Arbeitskreis I des 4. Baugerichtstags in Hamm im Mai 2012 verwendet hat. Dort wurden richtige und wichtige Anregungen für die Gestaltung des Rechts gegeben, oft knapp gefasst mit schlagwortartigen Kurzformulierungen, so zum Beispiel:

„Wer einmal plant, plant immer."

Dieser dem Plenum vom Arbeitskreis I vorgestellte griffige Kernsatz soll zum Ausdruck bringen, dass der Bauherr die Planungsverantwortung, die er einmal übernommen hat, auch bei Änderungen des Bauentwurfs beibehält. Im Grundsatz stimmt das natürlich. Aber gilt das immer? Was ist, wenn der Auftragnehmer Sondervorschläge für die Durchführung bestimmter Baumaßnahmen, z.B. Lehrgerüste, übernimmt, die er selber entwickelt hat? Die Unterbreitung solcher Sondervorschläge durch Auftragnehmer führt notgedrungen zur Änderung von planerischen Unterlagen. Wenn aber der Sondervorschlag vom Auftragnehmer ausgeht, ja es sich um eine von ihm selbst entwickelte Konstruktion handelt, muss deren Planung notgedrungen auch in der Verantwortungssphäre des Auftragnehmers angesiedelt sein. Dann aber tritt das in der Praxis häufige ,Problem auf: Wie werden die unterschiedlichen Planungsleistungen von Auftraggeber und Auftragnehmer miteinander koordiniert? Wo ist die Schnittstelle und wer haftet, wenn etwas schief geht? Diese Problematik lässt sich gerade nicht schlagwortartig damit lösen, dass der Bauherr, der zunächst geplant hat, in der planerischen Verantwortung bleibt. Das griffige Schlagwort gilt also nicht ohne Ausnahmen. Das Beispiel zeigt, dass es gerade auch anders gelagert sein kann. Deshalb Vorsicht bei der Verabsolutierung von griffigen Schlagwortformulierungen!

Eine andere, sattsam bekannte Formel war ebenfalls Gegenstand der Erörterung auf dem 4. Baugerichtstag:

„Pacta sunt servanda — auch im Baurecht."

Natürlich stimmt dieser Grundsatz. Wer nachträgliche Anordnungen formuliert, löst sich unter Umständen vom Inhalt des bisher Vereinbarten und trägt demgemäß die volle Verantwortung. Wohin allerdings die Verabsolutierung dieser Grundsätze führen kann, machte ein Teilnehmer des Baugerichtstags mit folgender Argumentation deutlich:

„Wenn der Bauherr schon durch Anordnungen nachträglich in das Gefüge des Bauvertrags eingreifen kann und darf, soll umgekehrt—ausgleichende Gerechtigkeit — dem Auftragnehmer zugebilligt werden, die Höhe der dadurch entstandenen Vergütung von sich aus einseitig zu bestimmen."

Dieses krasse Ergebnis lässt sich nur scheinbar mit dem Grundsatz der Vertragstreue und der ausgleichenden Gerechtigkeit rechtfertigen. Die Überlegung führt im Ergebnis vollständig in die Irre, nämlich zu einem nicht akzeptablen Vergütungsdiktat des Auftragnehmers (das allenfalls über § 315 BGB korrigiert werden könnte).

Natürlich gilt der Grundsatz pacta sunt servanda auch im Baurecht. Aber: Die Gestaltung eines Bauvorhabens ist in aller Regel so angelegt, dass das endgültig errichtete Bauwerk nur selten vollständig übereinstimmt und übereinstimmen kann mit dem planerisch und in der Baubeschreibung bestimmten Bauvorhaben. Es ist dem Bauvertrag geradezu wesensimmanent, dass im Laufe des Bauvorhabens von Bauherrenseite Anordnungen getroffen werden müssen. Teils dienen Sie der Konkretisierung einer bereits beschriebenen oder angelegten Leistung. Dann bewegen sie sich im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags und sind kostenneutral. Teils sind Anordnungen notwendig, weil Leistungen nicht vollständig beschrieben sind oder weil bestimmte Umstände eine Veränderung der Leistung notwendig machen, ggf. auch Umstände, die ausschließlich in der Sphäre des Bauherren liegen. Ein auf die Entwicklung angelegter Vertrag wie der Bauvertrag nähert sich einem Dauerschuldverhältnis an und gleicht in seiner Rechtsnatur oft eher einem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag i.S. des § 675 BGB. In einem solchen Vertrag sind Anordnungen in größerem Umfang notwendig als in einem Vertrag, in dem von vornherein alle Verpflichtungen eindeutig bindend bestimmt werden können. Anders als etwa der Mietvertrag, bei dem das Mietobjekt fest steht, wenn es bereits errichtet ist, erfordert ein in der Entwicklung befindliches Bauvorhaben größere Flexibilität und damit auch ein weitergehendes Anordnungs- und Bestimmungsrecht des Bauherren. Es ist daher schon vom Ansatz fraglich, solche Anordnungen, auch wenn sie über die Konkretisierung der Leistungen hinausgehen, als im Grundsatz unvereinbar anzusehen mit dem Postulat der Vertragstreue. Anordnungen sind oft kein willkürlicher Eingriff in das Gefüge des Bauvertrags, sondern für den Fortgang des Bauvorhabens unerlässliche Gestaltungsmomente. Wenn der Bauherr also Anordnungen trifft, verhält er sich in der Regel nicht vertragsuntreu. Natürlich muss dann für die Vergütung des Unternehmers gesorgt werden. Ob und wie das geschehen soll, ist Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Gerade weil der Bauvertrag so strukturiert ist, hat die Rechtsprechung das Kooperationsgebot entwickelt. Mit diesem ist aber mit Sicherheit nicht vereinbar die Forderung, dass der Auftragnehmer einseitig den Preis für Abweichungen und nachträgliche Anordnungen selber bestimmen und gar mit diesem Verlangen das Bauvorhaben einstellen oder verzögern kann. Der Baugerichtstag hat die Lösung solcher Probleme über Bauverfügungen diskutiert, die in der Art Einstweiliger Verfügungen vorläufige streitbeilegende Regelungen herbeiführen könnten. Die damit zusammenhängenden Probleme sind bei aller Prägnanz nur mit Schlagworten nicht zu lösen.

Also: Schlagwortartige Kurzformulierungen sind nützlich, weil sie Probleme griffig verdeutlichen. Sie können aber auch in die Irre führen, wenn sie verabsolutiert werden. Denn jeder Grundsatz kennt Ausnahmen.