jurisPR-BGHZivilR 14/2012 Anm. 1

Haftungsfallen bei Rechtsmittelfristen für den Streithelfer

Anmerkung zu BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 24.05.2012 - VII ZR 24/11
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Der einfache Streithelfer (§ 66 ZPO) kann ein Rechtsmittel nur so lange einlegen, wie die Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei läuft. Das gilt auch für die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Berufungsurteil, wenn sich die Hauptpartei bereits im Berufungsverfahren nicht mehr aktiv beteiligt hat (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 17.08.1984 - 3 AZR 597/83 - AP Nr. 2 zu § 67 ZPO).

A. Problemstellung
Kann ein einfacher Streithelfer oder sein Prozessbevollmächtigter die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels – hier: Nichtzulassungsbeschwerde – gegen ein Berufungsurteil danach berechnen, wann ihm, dem Streithelfer oder seinem Prozessbevollmächtigten, die anzugreifende Entscheidung zugestellt worden ist? Oder muss er sich an der Zustellung für die Hauptpartei orientieren? Gelten Besonderheiten, wenn die Hauptpartei sich im Berufungsverfahren schon nicht mehr aktiv beteiligt hat?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger verklagen ihren Architekten und Statiker wegen mangelhafter Leistungen im Zusammenhang mit der Errichtung eines Einfamilienhauses. Auf Seiten der Kläger tritt ein Streithelfer bei, wobei Hintergrund und Einzelheiten seines Streitbeitritts der BGH-Entscheidung nicht zu entnehmen sind.

Das Erstgericht weist die Klage ab. Nur der Streithelfer, nicht die Klagepartei, legt Berufung ein. Diese bleibt erfolglos. Das Berufungsgericht weist die Berufung zurück, ohne die Revision zuzulassen.

Die Zustellung des Berufungsurteils erfolgt bei den Klägern zwei Tage früher als beim Streithelfer bzw. dessen Prozessbevollmächtigten. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt der Streithelfer – berechnet nach der Zustellung an ihn – einen Tag vor Ablauf der Frist, jedoch einen Tag nach Ablauf der Frist unter Berücksichtigung der Zustellung an die Klagepartei ein. Problem: Ist die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht eingelegt oder verfristet?

Der BGH verwirft die vom Streithelfer geführte Beschwerde als unzulässig. Seine Nichtzulassungsbeschwerde wahre die Monatsfrist nicht, die nach der Zustellung an den Kläger, also die Hauptpartei, zu berechnen ist.

Zur Begründung führt der BGH aus: Der unselbstständige Streithelfer kann ein Rechtsmittel nur innerhalb der Frist einreichen, die für die unterstützte Hauptpartei gilt (BGH, Beschl. v. 17.01.2001 - XII ZB 194/99 - NJW 2001, 1355; BGH, Urt. v. 15.06.1989 - VII ZR 227/88 - BauR 1989, 642). Auf die Zustellung beim Streithelfer kommt es nicht an. Denn das Rechtsmittel eines einfachen Streithelfers ist immer als Rechtsmittel für die Hauptpartei anzusehen, der Streithelfer nimmt nur fremde Rechte wahr.

Von dieser Grundregel könne auch nicht abgewichen werden, wenn – wie hier – nur der Streithelfer das Berufungsverfahren durchgeführt habe und die Hauptpartei sich gar nicht mehr beteiligt hat. Dem Einwand des Streithelfers, er müsse auch selbstständig Rechtsmittel gegen ihn beschwerende Entscheidungen einlegen können und die Fristen nach der Zustellung an ihn berechnen, folgt der BGH nicht. Es bleibe auch in einem solchen Fall, in dem die Hauptpartei sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt hat, immer noch bei der Berufung um ein Rechtsmittel der Hauptpartei, auch wenn sie vom unselbstständigen Streithelfer eingelegt worden ist. Die prozessualen Befugnisse des Streithelfers könnten nicht weiter reichen als die Befugnisse der Hauptpartei. Deshalb berechne sich die Rechtsmittelfrist nicht nach der Zustellung an den Streithelfer, sondern nach der Zustellung des Ersturteils an die Hauptpartei.

C. Kontext der Entscheidung
In der Praxis muss genau unterschieden werden zwischen dem unselbstständigen Nebenintervenienten oder Streithelfer und dem streitgenössischen Nebenintervenienten oder Streithelfer (§ 69 ZPO). Die Abgrenzung – in der Praxis nicht immer einfach – gleicht der Abgrenzung zwischen dem einfachen und dem notwendigen Streitgenossen (§ 61 bzw. 62 ZPO). Im Gegensatz zum Streitgenossen, der Partei ist, ist der Streithelfer jedoch – ob unselbstständig oder streitgenössisch – stets nur der Unterstützer der Hauptpartei, also nicht selbst Streitgenosse.

Beim unselbstständigen Nebenintervenienten (einfachem Streithelfer) ist grundsätzlich die Zustellung an die Hauptpartei genügend und erforderlich und löst den Fristenlauf auch für den Streithelfer aus. Handelt es sich dagegen um einen streitgenössischen Nebenintervenienten (vergleichbar, aber nicht identisch mit dem notwendigen Streitgenossen i.S.d. § 62 ZPO), muss für dessen Rechtsmittel auf die Zustellung an ihn selbst abgestellt werden (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 517 Rn. 11, m.w.N.). Der streitgenössische Nebenintervenient oder selbstständige Streithelfer, der regelmäßig (so Zöller/Vollkommer, ZPO, § 69 Rn. 5) die Stellung eines notwendigen Streitgenossen (richtiger wohl: eine dem Streitgenossen ähnliche Stellung) hat, verfügt in Folge seiner Doppelstellung über erweiterte Befugnisse. Er kann auch – anders als der unselbstständige Streithelfer – gegen den Widerspruch der von ihm unterstützten Partei Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, was dem einfachen Streithelfer verwehrt ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, § 69 Rn. 7). Dementsprechend wird für den streitgenössischen Nebenintervenienten die Einspruchs- und Rechtsmittelfrist nur durch die Zustellung des Urteils an ihn und nicht durch die Zustellung an die Hauptpartei in Lauf gesetzt (BGH, Urt. v. 24.11.1983 - IX ZR 93/82 - BGHZ 89, 121, 125).

D. Auswirkungen für die Praxis
Es gilt hier, Haftungsfallen zu vermeiden: Die vom VII. Senat noch einmal konstatierte, in der Rechtsprechung schon anerkannte Rechtswirkung, dass nämlich die Frist für den einfachen Streithelfer sich nicht nach der Zustellung an ihn oder seinen Prozessbevollmächtigten, sondern nach der Zustellung an die Hauptpartei bemisst, erfordert bei Meidung anwaltlicher Haftung eine genaue Überprüfung des Fristenlaufs durch den Prozessbevollmächtigten. Das impliziert die Untersuchung, ob es sich um einfache Streithilfe oder um streitgenössische Streithilfe i.S.d. § 69 ZPO handelt, eine Unterscheidung, die nicht immer einfach zu treffen ist.

Die streitgenössische Nebenintervention dürfte in der Praxis eher die Ausnahme sein. Sie ist nur dann anzunehmen, wenn nach § 69 ZPO die Rechtskraft der im Hauptprozess erlassenen Entscheidung auch für den Nebenintervenienten gilt oder das Urteil Gestaltungswirkung hat, die auch den Nebenintervenienten trifft (z.B. Klage mit Gestaltungswirkung wie die Anfechtungsklage bei Erbunwürdigkeit nach § 2342 BGB für alle, die von der Wirkung der Erbunwürdigkeit betroffen sein können). In aller Regel werden die Voraussetzungen des § 69 ZPO aber nicht vorliegen (beispielsweise nicht zwischen Gesamtschuldnern auf der gleichen Parteienseite, für dem Schädiger beitretende Haftpflichtversicherer oder auch in den Fällen der Rechtskrafterstreckung nach den §§ 265, 325 ZPO; im Einzelnen: Zöller/Vollkommer, ZPO, § 69 Rn. 2, m.w.N.).

Der unselbstständige Nebenintervenient ist nicht identisch mit dem einfachen Streitgenossen, der streitgenössische Nebenintervenient oder Streithelfer nicht mit dem notwendigen Streitgenossen. Die Nebenintervenienten sind Unterstützer der Hauptpartei, einfache und notwendige Streitgenossen sind selbst Partei. Die Abgrenzung nach den §§ 61 und 62 ZPO gleicht aber in den Voraussetzungen der Abgrenzung zwischen der einfachen und der streitgenössischen Nebenintervention nach § 69 ZPO.

Es ist grundsätzlich zu beachten: Fristen laufen für und gegen jeden einfachen und auch jeden notwendigen Streitgenossen i.S.d. § 62 ZPO getrennt (BGH, Urt. v. 12.01.1996 - V ZR 246/94 - NJW 1996, 1060, 1061). Gleichwohl statuiert § 62 ZPO eine wichtige Ausnahme: Bei notwendiger Streitgenossenschaft wirkt die Fristwahrung eines einzelnen Streitgenossen auch für die anderen notwendigen Streitgenossen.
Umgekehrt allerdings muss der Prozessgegner darauf achten, Rechtsmittel fristgerecht gegenüber allen notwendigen Streitgenossen einzulegen. Die rechtzeitige Einlegung gegenüber einem Streitgenossen wirkt nicht auch zu Lasten desjenigen oder der anderen (BGH, Urt. v. 12.01.1996 - V ZR 246/94 - NJW 1996, 1060, 1061, m.w.N.).

Die anwaltliche Beratung muss sich auf diese recht diffizile Rechtslage einstellen. Gegenüber Streitgenossen, seien sie notwendig oder nicht, müssen Rechtsmittelfristen vollständig gewahrt werden. Umgekehrt befindet sich der notwendige Streitgenosse in der bequemeren Lage, dass die Aktivität eines anderen notwendigen Streitgenossen auch für ihn wirkt.

Um Haftungsrisiken zu vermeiden, sollte der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers stets die für die Hauptpartei laufende Frist in jedem Fall einhalten, wenn sie vor der Frist abläuft, die sich aus der Zustellung an den Streithelfer selber ergibt.

Im Zweifel also bei der Beteiligung von Streithelfern am Prozess: Einlegung des Rechtsmittels innerhalb der durch die Zustellungen bedingten kürzesten Frist.