jurisPR-BGHZivilR 4/2010 Anm. 4

Darlegungs- und Beweislast für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers

Anmerkung zu BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 10.12.2009 - I ZR 154/07
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsätze
1. Der Anspruchsteller muss, wenn der Spediteur/Frachtführer seiner Einlassungsobliegenheit genügt hat, die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers darlegen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt auch dann, wenn ihm die nähere Darlegung eines zum Wahrnehmungsbereich des Gegners gehörenden Geschehens nicht möglich ist. Ein solcher Umstand führt allenfalls zu erhöhten Anforderungen an die (sekundäre) Darlegungslast des Prozessgegners.
2. Gemäß Art. 23 Abs. 4 CMR sind nur solche Kosten zu erstatten, die nicht bereits den Versandwert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme beeinflusst haben.

A. Problemstellung
„Beweist der Kläger nicht, so ist der Beklagte frei“ – hat der Frachtführer seiner Einlassungsobliegenheit genügt, muss der Anspruchsteller die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers darlegen und gegebenenfalls beweisen.
Welche Kosten sind gemäß Art. 23 Abs. 4 CMR bei beschränkter Haftung des Frachtführers erstattungsfähig?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine Tabakwarenherstellerin, beauftragte die Beklagte zu festen Kosten mit der Besorgung des Transports von Tabakwaren per Lkw von Deutschland nach Spanien. Der Versand der mit spanischen Steuerbanderolen versehenen Waren erfolgte im Steueraussetzungsverfahren. Während des Transports wurden in Frankreich, als der Lkw auf einem Parkplatz an der Autobahn abgestellt war, Zigaretten im Produktionswert von 1.600,03 € entwendet. Die Beklagte erstattete der Klägerin diesen Betrag.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr alle weiteren Schäden wegen des Transportverlustes zu ersetzen. Es sei zu erwarten, dass der französische Fiskus auf die in Verlust geratenen Tabakwaren französische Verbrauchsteuern in einer Größenordnung von 20.000 € erheben werde und als weiterer Schaden der schätzungsweise ebenso hohe Wert der spanischen Steuerbanderolen hinzukomme.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hatte sie abgewiesen. Der BGH hat die Feststellungsklage in Bezug auf die spanischen Verbrauchsteuern für begründet erachtet und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH führt in der Entscheidung seine Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast für eine unbegrenzte Haftung des Frachtführers/Spediteurs fort und grenzt die gemäß Art. 23 Abs. 1 und 4 CMR zu ersetzenden Kosten voneinander ab.

C. Kontext der Entscheidung
Der Frachtführer/Spediteur haftet grundsätzlich nur beschränkt für Verlust oder Beschädigung des Frachtgutes. Seine unbegrenzte Haftung ist als Ausnahme geregelt. Grundsätzlich hat deshalb – so die im Urteil bestätigte ständige Rechtsprechung – der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Er trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer oder seine Leute vorsätzlich oder leichtfertig und im Bewusstsein gehandelt haben, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (vgl. Art. 29 Abs. 1 CMR, Art. 25 WA, § 435 HGB).

Muss der Anspruchsteller dazu Umstände darlegen und beweisen, die zu dem seinem Einblick entzogenen Bereich des Frachtführers/Spediteurs gehören, so entstehen ihm erhebliche Beweisprobleme. Nach der ständigen Rechtsprechung – so auch das Urteil – kann deshalb die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast des Frachtführers ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte für ein solches Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben. Insbesondere hat der Frachtführer dann substantiiert darzulegen, welche Sorgfalt er konkret aufgewendet hat. Kommt der Frachtführer/Spediteur dieser sekundären Darlegungslast nicht oder nur unvollkommen nach, kann daraus nach den Umständen des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein.

Hat der Frachtführer/Spediteur hingegen – wie im entschiedenen Fall – seine Einlassungsobliegenheit erfüllt, muss der Anspruchsteller die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung darlegen und gegebenenfalls beweisen. Es gereicht dem Frachtführer daher nicht zum Nachteil, wenn er den von ihm geschilderten Sachverhalt nicht bewiesen hat, da ihm insoweit keine Beweislast obliegt. Das Urteil bestätigt die neuere Senatsrechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2007 - I ZR 43/05 - TranspR 2008, 113 Rn. 33; BGH, Urt. v. 18.12.2008 - I ZR 128/06 - TranspR 2009, 134 Rn. 15), die ihren Grund darin findet, dass die Erfüllung der Einlassungsobliegenheit an der materiellen Beweislast nichts ändert (vgl. BGH, Urt. v. 21.09.2000 - I ZR 135/98 - BGHZ 145, 170). Zwei Klarstellungen fügt der Senat hinzu: An der in einem früheren Urteil vertretenen gegenteiligen Auffassung, dass der Frachtführer/Spediteur für die in Erfüllung der ihm obliegenden Einlassungsobliegenheit vorgetragenen Tatsachen beweisbelastet sei (BGH, Urt. v. 07.11.1996 - I ZR 111/94 - TranspR 1997, 291 = VersR 1997, 725), hält der Senat ausdrücklich nicht fest. Ferner können besondere Schwierigkeiten im Hinblick auf Umstände, die dem Einblick des Anspruchstellers entzogen sind, eine Ausnahme nicht rechtfertigen: Eine andere Beurteilung der Darlegungs- und Beweislastverteilung – so das Urteil – ergibt sich auch dann nicht, wenn der an sich darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung eines zum Wahrnehmungsbereich des Gegners gehörenden Geschehens nicht möglich ist. Dieser Umstand führt – in Anknüpfung an allgemeine zivilprozessuale Grundsätze (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., vor § 284 Rn. 34c) – nicht zu einer Umkehrung der Beweislast, sondern allenfalls zu erhöhten Anforderungen an die Erklärungslast des Prozessgegners (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2009 - I ZR 139/07 - NJW 2009, 2384 = GRUR 2009, 502 Rn. 17 „pcb“). Ein dahin gehender Einwand kann folglich auch nicht ausnahmsweise eine Umkehrung der Beweislast begründen.

Hinsichtlich des Haftungsumfangs bei einer begrenzten Haftung gemäß Art. 23 CMR bringt die Entscheidung ebenfalls Klarstellungen: Zu den sonstigen aus Anlass der Beförderung entstandenen Kosten gemäß Art. 23 Abs. 4 CMR gehören nicht solche Kosten, die durch den Schadensfall selbst verursacht wurden und bei vertragsgemäßer Abwicklung der Beförderung nicht entstanden wären. Ferner umfassen die sonstigen aus Anlass der Beförderung entstandenen Kosten gemäß Art. 23 Abs. 4 CMR nur solche Aufwendungen, die sich noch nicht im Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung (Art. 23 Abs. 1 CMR) niedergeschlagen haben. Im entschiedenen Fall sind deshalb die in Frankreich infolge des Diebstahls anfallenden Verbrauchsteuern als durch den Schadensfall selbst verursachte Kosten nicht erstattungsfähig. Der Wert der auf den gestohlenen Zigaretten bereits vor Übergabe der Ladung an den Frachtführer angebrachten Steuerbanderolen bestimmte demgegenüber den Wert des Transportguts schon zur Zeit der Übernahme zur Beförderung und ist deshalb gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR erstattungsfähig, allerdings nur in den Grenzen des Art. 23 Abs. 3 CMR, wonach die Entschädigung insgesamt 8,33 Rechnungseinheiten des Sonderziehungsrechts des Internationalen Währungsfonds für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts nicht übersteigen darf. Ob angesichts der Höhe der für den Warenverlust bereits gezahlten Entschädigung damit noch weitere Entschädigungen an die Klägerin zu leisten sind, musste der Senat in seinem Urteil aus Tatsachengründen offen lassen.

D. Auswirkungen für die Praxis
Dem Anspruchsteller, der eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers/Spediteurs einklagt, ist zu raten, auf der Erfüllung der diesen treffenden sekundären Darlegungslast zu bestehen, soweit der Schadenshergang seinem Wahrnehmungsbereich entzogen ist. Kommt der Frachtführer seiner Einlassungsobliegenheit nach, darf sich der Anspruchsteller, will er den Prozess insoweit nicht verlieren, nicht auf ein bloßes Bestreiten der Einlassungen zurückziehen. Vielmehr muss er den Vortrag des Frachtführers prüfen und gegebenenfalls dessen Lückenhaftigkeit rügen, ihn unter Beachtung der ihn treffenden Beweislast widerlegen oder aufzeigen, dass er aus anderen Gründen den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens trägt. Der Frachtführer/Spediteur sollte seine Einlassungsobliegenheit lückenlos erfüllen, um nicht den Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden nahezulegen. Seine Erklärungslast reicht im Einzelfall so weit, wie dem Schaden interne, dem Wahrnehmungsbereich des Anspruchstellers entzogene Abläufe zugrundeliegen. Seinen Vortrag braucht er nicht zu beweisen. Hat er seine Einlassungsobliegenheit erfüllt, obliegt dem Anspruchsteller, den Beweis einer unbeschränkten Haftung des Frachtführers zu erbringen.

Der Wert bereits vor der Übergabe zur Beförderung auf der Ware aufgebrachter Steuerbanderolen erhöht den Wert des Transportgutes, der bei einer beschränkten Haftung des Frachtführers/Spediteurs jedoch insgesamt nur in den Grenzen des Art. 23 Abs. 1-3 CMR zu ersetzen ist.