jurisPR-BGHZivilR 32/2007 Anm. 2

Haftung der Sozietät für deliktisches Handeln eines Scheinsozius
Anm. zu BGH, Urteil vom 03.05.2007 - IX ZR 218/05
Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Leitsätze

1. Für das deliktische Handeln eines Scheinsozius haftet die Rechtsanwaltssozietät entsprechend § 31 BGB.

2. Haftet eine Rechtsanwaltssozietät für das deliktische Handeln eines Scheinsozius, müssen auch die einzelnen Sozien mit ihrem Privatvermögen dafür einstehen.

A. Problemstellung
Die Entscheidung des BGH vom 29.01.2001 (II ZR 331/00 - NJW 2001, 1056) hat die Weichen neu gestellt für die Behandlung der BGB-Gesellschaft. Seit dieser Entscheidung steht fest, dass die (Außen-)GbR Rechtsfähigkeit besitzt und im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig ist. Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Teilrechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft begründet und sie damit insgesamt stark der OHG angenähert. Konsequenz der Anerkennung der Rechtssubjektivität der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten ist die analoge Anwendung der §§ 128 ff. HGB für die Haftung der BGB-Gesellschaft. Dementsprechend haftet auch ein in die BGB-Gesellschaft eintretender Neugesellschafter analog §§ 128 ff. HGB für früher begründete Verbindlichkeiten. Für frühere Zeiträume vor Änderung der Rechtsprechung gibt es Vertrauensschutz (BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1805; Karsten Schmidt, NJW 2003, 1897; Reinelt, Vertrauensschutz bei Änderung der Rechtsprechung, BrBp 2003, 44).

Den Schritt zur Grundbuchfähigkeit der BGB-Gesellschaft hat die Rechtsprechung allerdings noch nicht vollzogen (OLG Celle, Beschl. v. 13.03.2006 - 4 W 47/06 - NJW 2006, 2194; Reinelt, ZAP 2006, Fach 7, S. 301).

Vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung zur Teilrechtsfähigkeit oder Rechtssubjektivität der BGB-Gesellschaft ist die neue Entscheidung des BGH, mit der die Konsequenzen in Bezug auf deliktische Mithaftung der Gesellschafter gezogen werden, konsequent.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Mandant beauftragt für Klageverfahren gegen zwei italienische Unternehmen die Sozietät der Beklagten. Auf deren Briefbogen erscheinen fünf Anwälte. Tatsächlich besteht ein Sozietätsverhältnis nur zwischen zwei der Beklagten. Die übrigen drei gehören der BGB-Gesellschaft nicht an. Betreut werden die Mandate vom Beklagten zu 5), einem Scheinsozius. Nach Abschluss eines Vergleichs nimmt die Kanzlei der Beklagten die Vergleichsbeträge auf dem Privatkonto des Beklagten zu 5) entgegen. Dieser veruntreut einen großen Teil des Geldes. Der Kläger beansprucht nunmehr von drei Beklagten, deren lediglich einer der Sozietät angehört, die Zahlung der vorher vom Scheinsozius veruntreuten Gelder.

Die Vorinstanzen haben der Klage gegen die Sozien und die Scheinsozien in vollem Umfang stattgegeben. Die zugelassene Revision hatte keinen Erfolg. Der BGH hat mit den Vorinstanzen eine Haftung sowohl der Sozien als auch der Scheinsozien für die deliktische Aktivität des Scheinsozius bejaht. Soweit die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründe und ihr somit Rechtsfähigkeit zuzuerkennen sei, müsse auch § 31 BGB entsprechend angewendet werden.

Die Folge: Die Gesellschaft muss sich ein zum Schadensersatz verpflichtendes Handeln ihrer geschäftsführenden Gesellschafter – unabhängig davon, ob es vertragliche oder deliktische Haftung begründet – zurechnen lassen. Diese Grundsätze sind auch auf Anwaltssozietäten in der Rechtsform der GbR übertragbar.

Mangels gegenteiliger Vereinbarung agieren Rechtsanwälte gemeinsam als Gesellschafter bürgerlichen Rechts. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern tatsächlich ein echtes Sozietätsverhältnis besteht oder sie nur als Außensozien erscheinen. Der Außensozius auf dem Briefbogen wird aus Rechtsscheingründen behandelt wie ein BGB-Gesellschafter (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 705, Rn. 49, m.w.N.).

Eine Scheinsozietät – so der BGH in der besprochenen Entscheidung – ist für die Zurechnung vertraglicher Haftungstatbestände ausreichend. Schon die Grundsätze zur Anscheins- und Duldungsvollmacht rechtfertigen eine Rechtsscheinhaftung. Die Sozietät, die den Scheinsozius nach außen wie einen Sozius handeln lässt, gebe damit zu erkennen, dass sie für dessen Handeln grundsätzlich einstehen will.

Ein solches Einstehenmüssen erstreckt sich auch auf deliktisches Verhalten eines (Schein-)Sozius. Das folgt aus der vom BGH bejahten Anwendbarkeit des § 31 BGB. In Ermangelung einer gegenteiligen Regelung sei bei einer Anwaltssozietät jeder Sozius „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ i.S.d. § 31 BGB. Aus den Vorschriften der §§ 714, 709 BGB folge, dass – mangels gegenteiliger Regelung – die Vertretungsmacht und die Befugnis zur Geschäftsführung den Gesellschaftern gemeinschaftlich zusteht. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.d. § 31 BGB jeder nach außen hin auftretende Gesellschafter sei, also insbesondere der auf dem Briefbogen erscheinende sachbearbeitende Anwalt.

Für die Qualifizierung als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ genüge es, dass die einzelnen Sozien die selbstständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Mandaten einem bestimmten (Außen-)Sozius übertragen hätten. Es komme nicht darauf an, ob die Sozien in Angelegenheiten des „Managements“ tätig geworden seien, die die Sozietät als solche betreffen (wie beispielsweise bei der Anmietung von Kanzleiräumen). Die Bearbeitung von Mandaten sei als anwaltstypische Hauptaufgabe eine wichtige Angelegenheit der Sozietät. Zwar vertrete der Rechtsanwalt hierbei nur den Mandanten, nicht die Sozietät als solche. Er trete aber auch als Repräsentant der Sozietät in Erscheinung. Wenn er dann – echter Sozius oder Außensozius – eine vorsätzliche unerlaubte Handlung bei der Bearbeitung eines Mandats begehe (hier Veruntreuung von Mandantengeldern), wird er „in Ausführung einer ihm zustehenden Verrichtung“ i.S.v. § 31 BGB tätig.

Die Folge: Jeder Scheinsozius hat sich nicht nur vertragliche Haftungstatbestände, sondern auch deliktische Verhaltensweisen eines sachbearbeitenden (Schein-)Sozius zurechnen zu lassen. Aus der analogen Anwendung des § 31 BGB folgt also eine Haftung der gesamten Sozietät.

Der BGH hatte allerdings zu untersuchen, ob für diese Haftung auch das persönliche Vermögen der übrigen (Schein-)Sozien der Anwaltskanzlei in Anspruch genommen werden kann. Ausführlich und mit überzeugender Begründung setzt sich der IX. Zivilsenat hier mit den Vorschriften der §§ 128 ff. HGB und deren analoger Anwendung auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts auseinander. Er folgt im Ergebnis der neuen Rechtsprechung des II. Zivilsenats (BGH, Urt. v. 27.09.1999 - II ZR 371/98 - BGHZ 142, 315, 318; BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - BGHZ 146, 341, 358) und bejaht in analoger Anwendung der §§ 128 ff. HGB auch die persönliche solidarische Einstandspflicht der (Schein-)Gesellschafter für das deliktische Handeln des sachbearbeitenden Anwalts.

Die BGB-Gesellschafter können auf Auswahl und Tätigkeit ihrer Organe (§ 31 BGB) Einfluss nehmen und seien deshalb – soweit es um die Verteilung des Schadensrisikos geht – „näher dran“ als die deliktisch Geschädigten. Die Rechtsanwälte, die sich zu einer Sozietät (oder hier auch einen Scheinsozietät) zusammenschließen und werbend als solche auftreten, nehmen – so der BGH – auch das Risiko auf sich, dass ein Sozius das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht.

Im Ergebnis haften also alle Anwälte, seien sie Scheinsozien oder echte Sozien, für das deliktische Verhalten des sachbearbeitenden Partners auch mit ihrem privaten Vermögen in analoger Anwendung der §§ 128 ff. HGB.

C. Kontext der Entscheidung
Die neue Rechtsprechung des BGH zur Rechtssubjektivität der BGB-Gesellschaft (BGH, Urt. v. 24.02.2003 - II ZR 385/99 - NJW 2003, 1445, und BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1803) gehört zu den in der Praxis bedeutsamsten Rechtsfortbildungen der letzten Jahre. Sie ist – wie Karsten Schmidt zutreffend ausführt (NJW 2003, 1897) – ein Markstein auf dem weit fortgeschrittenen Weg zur grundsätzlichen Erneuerung des Rechts der BGB-Außengesellschaften.

Durch diese Entscheidungen ist die alte Rechtsprechung zur Nichtrechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft als Ergebnis eines jahrzehntelangen Grundlagenstreits überholt und durch eine einfache, in sich stimmige, allerdings auch strenge Haftungsanordnung (Karsten Schmidt, NJW 2003, 1897, 1898) ersetzt worden. Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der BGB-Gesellschaft führt auch zu einer abweichenden Beurteilung der Anwendbarkeit des § 31 BGB. Diese hatte der BGH in früheren Jahren noch abgelehnt (BGH, Urt. v. 30.06.1966 - VII ZR 23/65 - BGHZ 45, 311). Die Konsequenzen der Teilrechtsfähigkeit sind in einigen Bereichen, zum Beispiel, was die Haftung des eintretenden GbR-Gesellschafters angeht (BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1803), geklärt. Viele noch offene Fragen – wie etwa die Grundbuchfähigkeit der GbR – werden in der Folge der neuen Betrachtungsweise durch die Rechtsprechung jedoch noch zu lösen sein.

Dass Anwaltssozietäten, die – wie meistens - in der Gestalt der BGB-Gesellschaft organisiert sind, kein Sonderrecht beanspruchen können und sich die Haftung hier – wie bei anderen BGB-Gesellschaften – nach den §§ 128 ff. HGB analog richtet, hat der BGH in der besprochenen Entscheidung ebenso eindeutig bejaht wie die Anwendbarkeit des § 31 BGB. Soweit allerdings Vertrauensschutz in älteren Fällen in Anspruch genommen werden kann, wird es noch einige Zeit dabei bleiben, dass die Rechtslage bis zur Veröffentlichung der grundlegenden Entscheidung vom 29.01.2001 (NJW 2001, 1056) – im April 2001 – anders zu beurteilen ist als für die Zeit danach.

D. Auswirkungen für die Praxis
In vielen Anwaltskanzleien hat sich im Laufe der vergangenen Jahre die Handhabung bei Eintritt eines neuen Anwalts in die Kanzlei geändert. Während früher angestellte Anwälte oder freiberufliche Mitarbeiter – soweit es solche überhaupt gibt (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) – meist nicht auf dem Briefkopf erschienen sind, finden sich heute häufig die Namen aller in einer Kanzlei tätigen Anwälte. Dabei wird – von Ausnahmen abgesehen – regelmäßig nicht danach differenziert, wer echter Gesellschafter oder Partner ist und wer nicht. Aus der Sicht der Kanzlei hat das den Vorteil eines vielgestaltigen Auftritts. Der neu in die Kanzlei eintretende Rechtsanwalt schätzt die Aufnahme in den Briefkopf, weil es sein Renommee und seine Bindung zu den Mandanten verstärkt.

Allerdings: Wie die neue Rechtsprechung des BGH zeigt, birgt diese Praxis erhebliche Haftungsrisiken für den Scheinsozius, der auf dem Briefbogen erscheint. Er haftet nicht nur für Anwaltsfehler anderer Kollegen, sondern auch für deliktisches Verhalten eines Kollegen, wobei ihm eine Absicherung durch Haftpflichtversicherung insoweit nicht zu Gute kommt. Ob und in welcher Verbindung er ein solches Risiko eingehen kann, muss er sich genau überlegen. Drum prüfe nicht nur, wer sich ewig, sondern auch wer sich nur vorübergehend mit anderen Anwälten in Sozietät oder Scheinsozietät bindet. Geringer ist das Risiko für den jungen Anwalt bei der monogamen Variante: Wer in die Kanzlei eines Einzelanwalts als Sozius eintritt, unterliegt einer solchen Mithaftung nicht; § 28 HGB ist in diesem Fall nicht analog anzuwenden (BGH, Urt. v. 22.01.2004 - IX ZR 65/01 - BB 2004, 794).

Dass der neu in eine BGB-Gesellschaft eintretende Sozius auch dann haftet, wenn die haftungsauslösende Aktion eines (Schein-)Gesellschafters vor seinem Eintritt stattgefunden hat, ergibt sich aus der neuen Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1803).

Offen geblieben ist allerdings bisher die Frage, ob der Scheinsozius, der erst nach dem haftungsbegründenden Umstand auf den Briefbogen der Anwaltssozietät kommt, für die früheren deliktischen Aktionen seiner (Außen-)Gesellschafter haften muss. Das OLG Saarbrücken hat in einem solchen Fall überzeugend die Haftung des später eintretenden Scheingesellschafters verneint, nämlich weil der eine Mithaftung auslösende Schein erst danach erzeugt wird (OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.12.2005 - 8 U 91/05 - NJW 2006, 2862).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die im Verfahren geltend gemachten Ansprüche standen einem Streithelfer der Kläger zu. Dieser hatte die Ansprüche an die Kläger abgetreten. Die Anwaltskanzlei hatte aus anderen Verfahren einen titulierten Kostenanspruch gegen den Streithelfer, den Zedenten. Die Aufrechnung mit diesem titulierten Kostenerstattungsanspruch, die die beklagten Anwälte erklärt hatten, kam nicht zum Zug.

Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung kann nicht aufgerechnet werden. Wenn die anspruchsbegründende Handlung zugleich eine Vertragsverletzung und eine vorsätzliche unerlaubte Handlung darstellt, greift § 393 BGB ein.

Dieses Aufrechnungsverbot gilt auch für die mithaftenden (Schein-)Gesellschafter, selbst wenn sie selbst an der unerlaubten Handlung nicht beteiligt waren. Auch in diesem Fall müsse sich jeder der Anwälte das deliktische Verhalten des Mitgesellschafters zurechnen lassen mit der Folge, dass auch er mit der Aufrechnung ausgeschlossen ist.

Auch in diesem Zusammenhang muss sich jeder der Anwälte, obwohl er selbst keine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen hat, das deliktische Verhalten des Scheinsozius im Rahmen des § 393 BGB zurechnen lassen mit der Folge, dass auch er mit der Aufrechnung ausgeschlossen ist.